Jenny Erpenbecks Roman zu dem die Nachrichten bestimmenden
Thema 2015: Asylsuchende in Deutschland. Der emeritierte Professor Richard
trifft zufällig auf eine Gruppe von jungen Flüchtlingen auf dem Berliner
Oranienplatz. Er will mehr über ihre Geschichte erfahren und geht zunächst
genauso wissenschaftlich vor, wie er jahrzehntelang getan hat. Er erarbeitet
einen Fragenkatalog, mit dem er sie systematisch erforschen will. Schnell schon
merkt er, dass ihre Geschichten so verschieden sind, wie die Menschen. Und dass
es doch mehr Parallelen zu seinem eigenen Leben und Erlebnissen, als er sich
zunächst vorstellen konnte. Nach und nach gewinnt er ihr Vertrauen und kann
Einblick in diese fremde Welt und die der europäischen Asylpolitik gewinnen.
Jenny Erpenbeck gelingt es, sich diesem Thema auf natürliche
Weise mit einer großen Neugier zu nähern. Der Protagonist kann den Roman
überzeugend tragen, seine Unwissenheit in bestimmten Punkten dürfte den meisten
Lesern bekannt vorkommen und die Sympathien, die er im Laufe der Handlung
entwickelt, wirken ebenfalls authentisch und glaubwürdig. Hierdurch wird das
Ende auch menschlich nachvollziehbar, wenn auch völlig fernab der Realität. Dies
ist der für mich einzige große Kritikpunkt. Auch bleibt natürlich eine differenzierte
Auseinandersetzung durch die Perspektivwahl und den sehr persönlichen Zugang
aus, was man gemessen daran, dass es ein literarisches Werk ist, aber durchaus
akzeptieren kann.