Sonntag, 19. August 2018

Rebecca Fleet - Das andere Haus


Nachdem sie eine harte Zeit in ihrer Beziehung hinter sich gebracht haben, brauchen Caroline und Francis eine Auszeit, am besten auch ohne ihren Sohn Eddie. Ein Haustausch scheint da eine günstige Gelegenheit und so verlassen sie Leeds für eine Woche am Londoner Stadtrand. Ihr vorübergehendes Zuhause wirkt seltsam unbewohnt, unpersönlich, fast schon klinisch sauber. Aber die Frau erschien ihnen nett und freundlich, weshalb sie sich auf den Tausch einließen. Als Caroline seltsame Nachrichten erhält, gehen alle Alarmglocken an: hat jemand die bösen Geister der Vergangenheit geweckt? Taucht etwa ihre ex-Affäre Carl wieder auf der Bildfläche auf? Und was steckt eigentlich hinter dieser komischen Nachbarin, die sie zu beobachten scheint und sich bei ihrem spätabendlichen Besuch sehr auffällig verhielt? Caroline spürt die Gefahr, weiß aber nicht, woher sie kommt...

Der Roman startet in eher gemächlichem Tempo und anfangs war ich eher irritiert, weil Vieles irgendwie keinen wirklichen Sinn zu ergeben schien. Dass Francis und Caroline Probleme haben, war offenkundig, sie hatte eine Affäre mit einem Kollegen, er war tablettenabhängig, aber da dies scheinbar alles zwei Jahre vor der eigentlichen Handlung lag, war die Bedeutung dieser Ereignisse eher undurchsichtig. Dann war da noch diese Stimme, die zu Caroline sprach, wobei ich mich lange fragte, wo sie herkam. Insgesamt etwas zu viel Verwirrung für meinen Geschmack.

Allerdings lichtet sich der Nebel mit voranschreitender Handlung und je mehr auch der Thrill-Faktor steigt, desto besser wurde der Roman. Wie erwartet, sollte man als Leser zunächst völlig falsche Vermutungen anstellen – habe ich pflichtbewusst erfüllt – um dann irgendwann zu erkennen, dass alles viel komplexer ist als angenommen. Wenn man endlich klarsieht, erkennt man die sehr clever konstruierte Handlung und die Gefahr, die man bis dato gewaltig unterschätzte.

Man muss dem Thriller etwas Zeit geben, bis er sein Potenzial offenbart, dann kann er aber überraschen und überzeugen und vor allem mit psychologisch interessanten Aspekten punkten.

Sonntag, 17. Juni 2018

Meg Wolitzer - Das weibliche Prinzip


Greer Kadetsky hätte eigentlich auf eine der Ivy-League-Universitäten gehen sollen, aber es scheiterte am Geld, da ihre Eltern die Anträge auf ein Stipendium vermasselten. Also bleibt sie zu Hause wohnen und geht auf das Ryland College in Connecticut. Dort macht sie bei einer der typischen Partys Bekanntschaft mit Darren Tinzler, der sich gleich reihenweise den jungen Studentinnen aufdrängt und sich das nimmt, was er möchte. Die Universität versucht den Skandal zu verhindern und lässt ihn trotz zahlreicher Aussagen weiblicher Studierender davonkommen. Als kurze Zeit später die charismatische Frauenrechtlerin Faith Frank einen Vortrag hält, bittet Greer sie um einen Ratschlag, was man den tun könne, um sich in einer so offenkundig Männer-dominierten Welt durchzusetzen. Diese Begegnung wird ihr weiteres Leben bestimmen, da ihr Faith nach dem Abschluss einen Job in ihrer Organisation Loci, die sich für benachteiligte Frauen einsetzt, anbietet. Voller Enthusiasmus startet Greer in ihr neues Leben in New York. Ihr Freund, den sie schon aus Schultagen kennt, verfolgt derweil gleichermaßen seine Karriere. Was so vielversprechend beginnt, bekommt jedoch bald Risse und beide müssen sich fragen, was im Leben letztlich wirklich zählt und wie ehrlich sie gegenüber sich selbst waren.

Einmal mehr kann Meg Wolitzer restlos überzeugen. Wieder einmal, wie auch in „The Interestings“ und „Belzhar“ wählt sie junge Figuren auf dem Weg zum Erwachsenwerden als Protagonisten. Sie passen nicht wirklich in die Welt, in der sie leben, haben große Erwartungen an ihre eigene Zukunft und dank der Talente, die ihnen in die Wiege gelegt wurden, scheint es auch so, als wenn sich diese realisieren ließen. Doch das Leben verläuft nicht geradlinig und bald schon kommen Hürden, die die Figuren erst einmal überwinden müssen.

In ihrem aktuellen Buch dominiert neben diesem typischen coming-of-age-Thema jedoch noch ein weiterer Aspekt, der im Kontext der vergangenen Monate noch eine höhere Relevanz erhält. Auch wenn die schillernde Faith Frank eine Vorreiterin der Frauenrechte ist und sich ihr Organisation dem Kampf für die unterdrückten Geschlechtsgenossinnen widmet, auch wenn Greer schon zu Beginn belästigt wird und die Studentinnen versuchen sich gegen das ungerecht milde Urteil gegen den Täter zu wehren, ist das Buch keine feministische Kampfansage.

Faith Greer ist nur in den Augen der jungen Mitarbeiterinnen, als deren Mentorin sie viel eher fungiert denn als Chefin, die idealistische Kämpferin. Die Realität sieht anders aus und Greer wird bald schon vor einen Gewissenskonflikt gestellt. Gleichzeitig erfährt auch die Geschichte um Greers Freund Cory eine feministische Umkehr, ist dieser bereit alle maskulinen Attribute zu opfern und sein Leben nach einem Schicksalsschlag völlig neu auszurichten.

Meg Wolitzer beginnt ihre Geschichte im Jahr 2006, am Ende sind wir 2019 und Greer hat doch noch ihre Ideale verfolgen können und ist dabei auch überaus erfolgreich. Die Autorin wurde in ihrer Heimat von den Kritikern vielfach mit dem Vorwurf kritisiert, einem Zeitgeist hinterherzurennen und sich zu sehr von dem aktuellen politischen Geschehen der USA beeinflussen zu lassen. Dies ist mir jedoch zu einfach, denn Wolitzers Frauen kommen keineswegs als die unschuldigen Opfer daher: Faith wie auch Greer haben betrogen, andere Frauen betrogen, auf deren Rücken ihre Karrieren verfolgt und damit ziemlich genau das getan, was die Feministinnen bei den Männern kritisieren. Und die Rollenmuster werden gleichermaßen in Frage gestellt. Auch liefert das Buch keine einfachen Antworten, denn die gibt es auch 2019 noch nicht, außer vielleicht Greers Erkenntnis, dass sie ihre „Outer Voice“ benutzen muss, wenn sie in dieser Welt gehört werden will.

Ein vielschichtiger Roman, der durchaus mehr als aktuell ist, aber sicherlich auch diese Zeit überdauern wird.

Mittwoch, 4. April 2018

Karen Cleveland - Wahrheit gegen Wahrheit



Vivian ist eine der besten Analysten der CIA. Seit Jahren hat sie an russischen Schläfern in den USA gearbeitet und jetzt scheint sie ganz nah daran zu sein, eine ganze Zelle aufzudecken. Als sie das entscheidende Dokument auf dem Rechner eines Verdächtigen öffnet, das, nachdem sie seit Jahren gesucht hat, bleibt ihr Herz stehen: sie kennt einen der fünf Schläfer. Sie kennt ihn sogar sehr gut. Sie teilt ihr Leben mit ihm. Er ist ihr Ehemann und Vater ihrer Kinder. Als sie auf die gemeinsamen Jahre zurückblickt, erscheint schlagartig so manches in einem anderen Licht. Doch: was soll sie nun tun? Soll sie ihren Mann ausliefern oder gibt es einen anderen Ausweg?

Karen Clevelands Debüt kann restlos überzeugen. Sie hat ein recht klassisches Setting gewählt, das einen typischen Spion bzw. Doppelagenten Plot mit einem sehr persönlichen Dilemma verknüpft, was nicht so einfach gelöst werden kann. Da die Handlung mit sehr hohem Tempo spielt und eine Krise die nächste jagt, kann man den Roman kaum aus den Händen legen. Oftmals wünscht man sich auch für die Protagonistin, dass alles einfach vorbei ist – egal wie nun der Ausgang ist, so sehr leidet man mit ihr.

Im Zentrum steht das typische Catch-22 Dilemma: Vivian kann entweder gegenüber ihrem Arbeitgeber und Heimatland loyal sein – oder gegenüber ihrem Ehemann. Diesem kann sie jedoch eigentlich nicht mehr vertrauen, aber dennoch ist er der Vater ihrer Kinder und sie hatten auch eine gute Zeit miteinander. Als Vivian einen Fehler macht und sich so den Russen ausliefert, kann sie aus der Situation selbst nicht mehr herauskommen ohne selbst ins Gefängnis zu wandern und ihre Kinder zu riskieren. Sie befindet sich in einem Teufelskreis, in den sie sich immer tiefer verstrickt. Bis zur letzten Seite fiebert man mit, denn eine Lösung ist alles, aber nicht offenkundig und doch hat Cleveland einen überzeugenden Schluss gefunden.

Samstag, 31. März 2018

Matt Haig - Wie man die Zeit anhält

Er sieht zwar aus wie ein durchschnittlicher 41-Jähriger, aber Tom Hazard ist älter. Viel älter- mehr so 400 Jahre alt. Geboren gegen Ende des 16. Jahrhunderts auf einem französischen Schloss wurde seine Mutter schon früh der Hexerei beschuldigt und zum Tode verurteilt. Seither ist Tom vorsichtig. Nur ein einziges Mal hat er sich verliebt, in Rose, und mit ihr hat er eine Tochter bekommen, die dasselbe Schicksal erlitten hat wie er. Doch schon seit ewigen Zeiten hat er sie nicht mehr gesehen, weiß auch nicht, ob sie noch lebt. Alle paar Jahre muss sich Tom von seinem gewohnten Leben verabschieden, um nicht aufzufallen. Gerade hat er wieder eine neue Identität angenommen und arbeitet als Lehrer für Geschichte – was auch sonst. Doch am Himmel ziehen dunkle Wolken auf, denn Tom droht etwas zu tun, was er nicht darf: sich verlieben.
Ich bin nun wahrlich kein Fan von übernatürlichen Vorkommnissen und Untoten, aber zugegebenermaßen konnte mich Matt Haig mit seiner Geschichte fesseln. Auch wenn das Grundkonzept völlig absurd ist, sein Protagonist trägt durch die Handlung, die immer wieder Episoden seiner Vergangenheit evoziert und so sein Leben nicht nur interessant, sondern auch spannend werden lässt. Wen hat er alles getroffen, den großen Shakespeare ebenso wie Scott F. und Zelda Fitzgerald. Aber es sind nicht die großen Namen und die Begegnungen, die die Geschichte so außergewöhnlich machen, es ist die Figur Tom selbst.
Weder ist er verbittert ob all der schlimmen Dinge, die er erleben musste – die Pest ebenso wie zwei Weltkriege neben all den kleinen Katastrophen – noch wird er zynisch. Er ist im positiven Sinne weise und melancholisch. Er mag die Menschen, auch wenn er weiß, dass er jeweils nur eine kurze Zeit mit ihnen teilen kann. Und er ist treu. Obwohl seine Beziehung mit Rose 400 Jahre zurückliegt, hat doch nie eine andere sein Herz in dem Maße erobern können wie diese einfache Verkäuferin. Auch wenn sich die Zeiten gewaltig verändert haben, die Menschen sind geblieben wie sie immer waren und er kann noch so viel Geschichte unterrichten – sie werden nicht aus ihr lernen, da ihr Blick in der Gegenwart verhaftet ist.
Eine geradezu bittersüße Geschichte, ideal, um den Alltag zu vergessen.
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