Freitag, 29. Mai 2015

Léna Forestier - Un voisin si craquant

Seines Sohnes wegen lässt Maxence seine Theatergruppe in Grenoble zurück und zieht nach Lyon in die Nähe seiner Ex-Frau. Seine erste Begegnung mit seiner Nachbarin ist wenig vielversprechend: im Schlafanzug und ungewaschen öffnet diese nachmittags die Tür. Armelle ist ebenfalls erschrocken – so hat sie sich doch nicht wirklich präsentiert?! Als freischaffende Journalistin kann sie sich ihre Tage frei einteilen, aber das war nun wirklich zu viel des Guten. Dabei machte der neue Nachbar einen charmanten Eindruck, auch wenn die junge Frau neben ihm nicht zu verachten und sicherlich seine Freundin war.


Ein kurzer Roman mit vielen Verwirrungen dank ungesagter und nur gemutmaßter Dinge über den jeweils anderen. Das ganze ins Theatermilieu integriert, um so die Brücke zwischen beiden zu schlagen. Kein ganz großer Wurf, auch kein unnötiger Kitsch. Daher: nett für zwischendurch. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Uli Hannemann - Hipster wird's nicht. Der Neuköllnroman

Gescheiterter Autor, erfolgloser Poetry-Slammer und bei Frauen ebenfalls nicht gerade hoch im Kurs zieht Thomas mit Mitte 40 in eine WG in Neukölln. Doch irgendwie haben sich die Twens seit seiner Studentenzeit böse verändert: Stofftaschen, Mützen, Vegetarismus und Biobier – er ist bei einer Horde Hipster gelandet. Man nimmt den Dino auf und gründet quasi eine „Mehrgenerationen-WG“, in der jedoch beide Seiten Anpassungsschwierigkeiten haben. Aber die hübsche Franziska nimmt Thomas an die Hand bei seiner Reise durch diese seltsame neue Welt.

So richtig hat sich mir nicht erschlossen, was das Buch möchte. Sich über die Hipster lustig machen? Ist schwierig, wenn man eine so gescheiterte Existenz wie Thomas entgegenstellt. Licht ins Dunkel dieser hochmodernen Lebensform bringen? Dafür kommt zu wenig rüber. Lustig sein? Dafür sind viele Sprüche zu ausgelutscht und die Protagonisten zu wenig sympathisch. Am Ende bleibt: viele Seiten mit belanglosestem Blabla, nur mäßig witzig und begrenzt unterhaltsam.


Fazit: verzichtbar.

Montag, 25. Mai 2015

Benjamin Constable - Die drei Leben der Tomomi Ishikawa

Ein Abschiedsbrief erschüttert Ben Constable: seine Freundin Tomomi Ishikawa ist tot. Sie hat sich umgebracht. Er macht sich auf in ihre Wohnung, wo er ihren Laptop mitnimmt, doch mit den Dateien, die sich darauf befinden, kann er zunächst nichts anfangen. Nach und nach erhält er Nachrichten von der Toten und immer mehr ergeben die Puzzleteile einen Sinn. Und ein erschreckendes, anderes Bild der jungen Frau: ist sie eine Serienmörderin, die als Racheengel für Recht gesorgt hat? Oder ist dies alles ihrer Phantasie entsprungen und doch nur erfunden? Tomomi schickt ihn auf eine rätselsame Reise, wobei sich immer drängender die Frage stellt, ob sie überhaupt tot ist.

Ein interessanter Roman, der mit verschiedenen Erzählebenen spielt und viele Fragen zwischen Fiktion und Realität in der Fiktion offen lässt. Der Ich-Erzähler begleitet den Leser – oder umgekehrt – bei der Suche nach der Wahrheit, die zugleich eine Reise durch Paris und New York und in die Vergangenheit Tomomis ist. Eine gelungene Mischung, die immer wieder interessante Stadterkundungsmomente bietet und die Spannung langsam steigert. Alle weiteren Figuren treten hinter den beiden Protagonisten zurück, die sich auf ihrer wundersamen Schatzsuche befinden und mit dem Leser und seinen Erwartungen spielen. Frei nach Arthur Conan Doyle lebt das Buch nach dem Motto "Wenn man das Unmögliche ausgeschlossen hat, muss das, was übrig bleibt, die Wahrheit sein, so unwahrscheinlich sie auch klingen mag."

Fazit: eine kuriose Schnitzeljagd nach der Wahrheit, die doch im Verborgenen bleibt. 

Sonntag, 24. Mai 2015

Nadja Quint - Halbe Miete

Lilo Gondorf führt auf Rügen ein bescheidenes und ruhiges Leben. Aufregend war ihres ja auch genug, als Kommissarin, dann früh verwitwet allein mit drei Kindern. Nun freut sie sich über ihre Feriengäste und die Ruhe der Insel. Ein Paar hat sich angekündigt, beide etwas älter und die Frau erblindet. Sie machen einen netten Eindruck doch schon am ersten Urlaubstag geschieht das Unglaubliche: Werner Koch stürzt beim Wandern ab. Doch die Leiche ist nicht zu finden. Es scheint kein Unfall, sondern Mord gewesen zu sein. Ermittlerin ist ausgerechnet Lilos Tochter, die der Mutter nicht zu viel über den Fall verraten möchte. Doch die Neugier der Seniorin ist geweckt. Auch die neuen Feriengäste scheinen verdächtig und so ermittelt sie gemeinsam mit ihrem Nachbarn, einfach an der Polizei vorbei.

Was dem Buch gelingt, ist die Szenerie auf Rügen attraktiv und glaubwürdig erscheinen zu lassen. Der Ansatz zweier betagter Freizeitermittler ist hingegen inzwischen etwas überstrapaziert, ebenso wie das Anschmachten von Pastoren oder anderen Religionsvertretern. Insgesamt leiden die Figuren des Romans unter einer erheblichen Blässe und mangelnder Authentizität, weshalb mir insbesondere Protagonistin Lilo sehr fremd blieb. Die resolute Oma hat man schon überzeugender gesehen. Der Fall schien lange Zeit recht glaubwürdig, wartet gegen Ende aber mit so vielen Zufällen auf, dass es – trotz der durchaus vorhandenen Spannung – böse bergab geht und man nur noch den Kopf schütteln mag. Auch der „literarische Kniff“ die Figuren mal spazieren gehen zu lassen und dem Leser nicht zu berichten, was sie aushecken, wurde offenkundig aus der Mottenkiste ganz unten gekramt – ich habe schon lange keine so schwache Auflösung bei einem aktuellen Roman mehr erlebt. Enttäuschend.

Fazit: kommt einem vor wie die sonntägliche Rosamunde Pilcher Verfilmung – tolle Kulisse bei schwacher bis dämlicher Handlung und unglaubwürdigen Figuren.



Oliver Schütte - Metropolis Berlin: Die Rote Burg

Berlin 1926. Im Zoo wird ein unbekannter Toter aufgefunden. Den Löwen zum Fraß vorgeworfen. Martin Forster soll ermitteln und diese spektakulären Mord möglichst rasch klären. Doch allein die Identität des Toten herauszufinden dauert Wochen. Schnell wird klar, dass er tief ins Milieu verstrickt war und dort ist wenig Kooperation mit der Polizei zu erwarten. Die Wochen fließen dahin, heiße Spuren sind nicht zu finden und die Presse zerreißt sich das Maul. Kann eine Hellseherin entscheidende Hinweise geben?

Der Plot ist durchaus interessant und spannend, aber der Darstellung gelingt es so ungemein gut, die zähen Ermittlungen darzustellen, dass auch das Buch mehr und mehr quälend wird, je länger sich die Aufklärung des Falles hinzieht. Geht die erste Hälfte noch flott von der Hand wird dann aus dem Lesespaß eher Anstrengung. Der Protagonist kann mich auch nicht wirklich packen, erscheint er zunächst sympathisch, nervt mich seine Darstellung als Frauenheld bald. Auch seine zickige Freundin erschöpft sehr bald die Geduld des Lesers mit ihrem Gemecker.

Fazit: insgesamt glaubwürdig die 20er Jahre dargestellt bleibt der Roman aber weit hinter seinen Möglichkeiten.

Donnerstag, 21. Mai 2015

JD Salinger - The Catcher in the Rye

Holden Caulfield ist einmal mehr von der Schule geflogen. Nur noch wenige Tage bis Weihnachten und der unabwendbaren Konfrontation mit den Eltern. Kurzentschlossen verschwindet er aus seinem Internat und fährt schon nach New York, allerdings nicht nach Hause, da würden die Eltern nur blöde Fragen stellen. Also treibt er sich in der Stadt herum. Besucht Nachtbars, macht Frauen an, übernachtet im Hotel, kauft seiner Schwester eine Platte, die er dann zerbricht, schleicht sich doch heimlich in die Wohnung der Eltern, um die Schwester zu besuchen, trifft sich mit alten Freundinnen – er treibt einfach durch die Stadt.

Hat mich das Buch als Jugendliche gefesselt und begeistert – vermutlich im Wahn der der Jugend eigenen Überlegenheit gegenüber der Elterngeneration und all der angepassten Erwachsenen, wie die man glaubte niemals zu werden, hat es doch nun 20 Jahre später ein wenig an Reiz verloren, da die Perspektive für mich als Leserin eine andere ist. Immer noch ist die Figur des Holden in ihrer Konstruktion glaubwürdig und stimmig, die Handlung vielleicht etwas überzogen, aber das darf sie ja auch sein. Die Brüche zwischen Sein und Schein werden klar, das Treiben ohne Sinn und Ziel – eben die Verlorenheit der Jugend, das bleibt.


Fazit: muss man lesen, wenn man jung ist.

Matthew Quick - Forgive me, Leonard Peacock

Leonards 18. Geburtstag läuft genau so wie er vermutet hat: niemand erinnert sich daran. Seine Mutter ist ohnehin weit entfernt in New York bei ihrer Karriere und dem französischen Liebhaber. Der drogenabhängige Vater schon vor Jahren verschwunden. Leonard will all dem ein Ende setzen. Aber da ja Geburtstag ist, möchte er sich noch von vier Menschen mit einem Geschenk verabschieden. Und so beginnt er den Tag bei seinem Nachbarn, der ihm ein guter Freund wurde, auch wenn er schon alt ist, aber mit dem er alle Bogart Filme gesehen hat. Dann folgt der iranische Wundergeiger, dem er über Monate täglich beim Üben zuhörte. Sein Geschichtslehrer Herr Silverman, der ihn schwer beeindruckte, ist eine weitere Adresse, und das erste Mädchen, das er geküsst hat. Dazu packt er eine alte Waffe seines Opas, um dann allem ein Ende zu setzen – vor allem seinem ehemals besten Freund, der er erschießen möchte, bevor er Selbstmord begeht.

Die Handlung wird rein aus Leonards Perspektive beschrieben und der Tag ist durchzogen mit Erinnerungen, die er mit den jeweiligen Menschen geteilt hat, die erste Begegnung, memorable Momente. So nähert man sich langsam dem Höhepunkt – denn die Frage, weshalb Leonard diese drastische Maßnahme ergreift und was sein Freund verbrochen hat, dass er ihn töten möchte, bleibt sehr lange im Dunkeln. Was Matthew Quick auf jeden Fall sehr gut gelungen ist, ist den Ton eines Jugendlichen zu treffen. Man nimmt dem Erzähler in jeder Zeile ab, dass er 18 ist und für sein Alter trotz der widrigen Lebensumstände ein völlig durchschnittlicher und normaler Junge – wenn auch ein Außenseiter. Interessant auch die Ausflüge in die Zukunft, die sich dem Leser zunächst nicht erschließen, aber eine wesentliche Funktion haben.

Fazit: kein ermutigendes positives Buch, aber dafür authentisch und ergreifend.



Montag, 18. Mai 2015

Helen Walsh - The Lemon Grove

Wie jeden Sommer verbringen Jenn und Ihr Gatte Greg den Urlaub zusammen mit der Tochter Emma auf Mallorca. Doch dieses Jahr ist vieles anders. Emma kommt wegen der Abschlussprüfungen erst eine Woche später nach und außerdem bringt sie ihren neuen Freund Nathan mit. Diesen kennen die Eltern noch nicht besonders gut, wollten der Tochter aber diesen Wunsch nicht abschlagen. Schnell schon zeigt sich, dass durch die Anwesenheit des jungen Mannes nicht nur die Stimmung leidet, sondern dass er mehr als nur einen feinen Riss in die scheinbar heile Welt der Familie bringt. Besonders Jenn ist zunächst irritiert und dann mehr und mehr angezogen vom Freund der Tochter. Mit jedem Tag spitzt sich die Situation mehr zu und plötzlich kommt alles auf den Tisch, was sich die drei sich gegenseitig schon lange verheimlichen.

Das Buch hat durchaus seinen Reiz, wenn mir auch die Protagonistin Jenn sehr fremd bleibt mit ihrer Schwärmerei für den Jungen. Gefallen hat mir, wie sich die Stimmungslage zunehmend verändert, ganz heile Welt herrscht ohnehin nie, aber die Konflikte werden heftiger und die von Seite zu Seite Allianzen klarer. Viele kleine Andeutungen ergeben nach und nach ein etwas anderes Bild der Familie, die aus sehr viel Schein besteht. Der Spannungsaufbau ist gelungen und kulminiert als man denkt das Schlimmste sei vorbei. Die Charaktere bleiben leider etwas flach, was daran liegen mag, dass die Geschehnisse quasi nur aus Jenns Perspektive geschildert werden und sich die Handlung auf sehr kleinem Raum innerhalb kürzester Zeit abspielt.


Fazit: empfehlenswert für den Sommerurlaub am Pool – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Sonntag, 17. Mai 2015

Mark Watson - Eleven

Nach einem schrecklichen Unglück flüchtet Chris aus Australien und wird in England unter dem Namen Xavier Nighttalker im Radio. Dort gibt er täglich den Anrufern Tipps und kümmert sich um sie. Doch die Menschen in seiner unmittelbaren Lebenswelt bleiben ihm fern, er vermeidet geradezu den Kontakt – bis er die Putzfrau Pippa bei einem Speed-Dating kennenlernt und für seine Wohnung engagiert. Sie bringt ihn seiner Umwelt wieder näher und so erfährt man auch, weshalb er quer über den Globus geflüchtet war. Doch er kann so das Schicksal nicht aufhalten, er hat angefangen Einfluss zu nehmen und so nehmen die Dinge ihren Lauf.

Bemerkenswert, wie es Watson gelingt, elf Leben, die in keiner unmittelbaren Verbindung zueinander stehen, doch zu verweben und zu zeigen, wie kleine Handlungen oder ausbleibende Handlungen nachhaltige Folgen haben können. Hier einen Konflikt ignoriert, dort eine SMS an den falschen Empfänger, eine kleine Beschwerde und das Leben gerät aus den Fugen. Es dauert ein wenig, bis man merkt, wie diese elf Leben sich gegenseitig beeinflussen und sich gegenseitig zerstören und wie der berühmte Schlag des Schmetterlings mit einem Mal alles verändern kann und unaufhaltsame Dinge in Gang setzen kann.


Fazit: keine besonders ausgefeilten Charaktere, aber eine gelungene Konstruktion der Handlung.

Samstag, 16. Mai 2015

Zoe Beck - Schwarzblende/Blutspur

Bei Probeaufnahmen im Park beobachtet Niall zufällig zwei auffällige Jugendliche: mich Macheten spazieren sie schienbar ziellos vor sich hin. Kurz darauf ist ein weiterer Mann tot. Erstochen von den Jugendlichen. Und sie haben eine Nachricht, die Niall aufzeichnen soll: im Namen Allahs und des IS kämpfen sie gegen England und die westliche Welt und werden alle töten, die sich ihnen entgegenstellen. Die Polizei kann die Situation schnell aufklären und nach einer Nacht in einem der schlimmsten Gefängnisse der Insel wird auch Niall als Unschuldiger und Unbeteiligter wieder entlassen. Doch er will nicht schweigen und als er das Angebot erhält, eine Dokumentation über die Hintergründe der beiden Jungs zu drehen, nimmt er an. Zusammen mit seinem Vater, einem ehemaligen Kriegsberichterstatter, macht er sich an die Nachforschungen. Doch was er herausfindet ist unerwartet und bringt ihn in größte Gefahr.

Ein hochaktuelles und brisantes Thema wird von Zoe Beck spannend und überzeugend umgesetzt. Dabei tappt sie nicht in die Falle pauschalisierender Anschuldigungen, sondern spinnt die Geschichte sogar noch weiter und in eine völlig andere Richtung, die verblüfft, aber womöglich – vor dem Hintergrund der Aufdeckungen über Geheimdiensttätigkeiten etc. – plausibel und glaubwürdig ist. Der Roman wird zunehmend spannender, spart nicht an brutalen und unbequemen Szenen und wird von dem Protagonisten Niall getragen, der zwar nicht besonders komplex konstruiert ist, aber dessen leicht einfältige Naivität den Raum für die Entwicklung der Geschichte bietet.


Fazit: ein aktuelles Thema literarisch gelungen umgesetzt.

Freitag, 15. Mai 2015

Keigo Higashino - Böse Absichten

Osamu Nonoguchi wird von seinem Freund Kunihiko Hidaka gebeten, ihn nochmals abends aufzusuchen. Der erfolgreiche Autor steht kurz vor der Auswanderung nach Kanada und klingt am Telefon besorgt. Als Nonoguchi dort ankommt, scheint das Haus verweist. Er informiert dessen Frau, die bereits im Hotel ist, wo sie die letzte nach verbringen wollten. Als sie das Haus schließlich gemeinsam betreten, finden sie nur noch die Leiche des Freundes und Gatten. Wer könnte dem Literaten etwas angetan haben? Die Polizei ist ratlos, auch Nonoguchi kann sich keinen Reim darauf machen. War es die Nachbarin, deren Katze von Hidaka vergiftet wurde? Doch die Dinge liegen möglicherweise ganz anders und es sind mehr gewiefte Erzähler am Werk als man meinen sollte.

Keigo Higashino spielt mit seinen Figuren und dem Leser. Durch Perspektivenwechsel bringt er immer wieder neue Wendungen, die unerwartet sind und dieselbe Situation gänzlich anders erscheinen lassen. Gerade zurechtgerückte Motive und Handlungen fallen wieder in sich zusammen. Die Wahrheit liegt eben doch nur im Auge des Betrachters und Erinnerungen können getrübt sein. „Böse Absichten“ punktet mit wenigen Figuren in einem komplexen Plot, der sich geschickt windet und keine einfache Lösung offeriert. Sprachlich für meinen Fall passend zu den jeweils erzählenden Figuren, beim Ermittler etwas einfältiger als bei Nonoguchi. Am Ende lässt er leider etwas nach und ganz zum Schluss kommt ein arg abruptes Ende, das ein wenig verstört und nicht zum Fluss der Geschichte passt.


Fazit: clever konstruiert, spannend zu lesen – ein gelungener Krimi.

Jean-Philippe Blondel - 06h41

Das Wochenende bei ihren Eltern ist endlich zu Ende und am Montagmorgen will Cécile Duffaut um 6h41 den Zug von Troyes zurück nach Paris nehmen. Neben ihr nimmt Philippe Leduc Platz, der seinen lebensbedrohlich erkrankten Freund Mathieu im Krankenhaus besuchen möchte. Beide erkennen sich sofort wieder – nach 27 Jahren. Doch sie trauen sich nicht, den ersten Schritt zu tun. Zu schrecklich war das Ende ihrer kurzen Beziehung. Die Erinnerungen an die damalige Zeit keimen wieder auf. Und Spekulationen darüber, was der jeweils andere wohl aus seinem Leben gemacht hat. Knapp eineinhalb Stunden bleiben ihnen, um das Gespräch zu beginnen, doch die Minuten verrinnen.

Gemessen an vorherigen Leseerfahrungen mit Jean-Philippe Blondel für mich hier eine schwere Enttäuschung. Zwar ist das Konstrukt durchaus interessant, die wechselnden Perspektiven, Erinnerungen an dieselben Ereignisse uns unterschiedlichem Blick und immer die Spannung, ob es doch einer wagen wird, den ersten Schritt zu machen. Leider bleibt aber doch vieles zu flach um einen nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen. Weder Cécile noch Philippe kann mich als Figur packen und echtes Mitgefühl wecken. Sprachlich bleibt dieses Mal der stream of consciousness zwar glaubwürdig und authentisch, aber nicht außergewöhnlich, sondern geradezu banal.


Fazit: man hätte mehr draus machen können.

Mittwoch, 13. Mai 2015

Joanna Rakoff - My Salinger Year

Nach dem Studium in London kehrt Joanna in die USA zurück, wo sie zunächst nicht wirklich weiß, was sie aus ihrem Leben machen soll. Eigentlich möchte sie schreiben, aber so einfach lässt sich das nicht realisieren. Ein Job in einer Agentur, die Autoren vertritt und vermittelt findet sie einen Assistentinnenjob – wie ihr Vater sagt: eine bessere Sekretärin, denn hauptsächlich tippt sie Memos ihrer Chefin ab und beantwortet Briefe. Vor allem Briefe, die begeisterte Leser an J.D. Salinger geschrieben haben, den die Agentur vertritt und der keine Fanpost erhalten möchte. Um diesen großen Autor dreht sich fast alles bei ihrer Arbeit und bald schon ist auch Joanna von dem Glamour rund um den Schriftsteller gefangen. Ist sie bei den ersten Telefonaten noch schüchtern verliert sie zunehmend die Scheu und dieser nimmt mehr und mehr Platz in ihrem Denken und Leben ein.

Das Buch ist schlichtweg faszinierend. Einerseits ein Bericht über die Arbeit und Lebenssituation – die durchaus prekär ist – einer jungen Frau im New York der 1990er Jahre, andererseits liest es sich doch wie ein Roman um eine fiktive Figur. Interessant wie Salinger, der es ja immerhin in den Titel geschafft hat, als Person im Hintergrund bleibt, nur kurz in Telefonaten ein einmal auch persönlich auftaucht. Dennoch wirkt er omnipräsent und genau auf diese Weise schafft es Rakoff das widerzuspiegeln, was vielen jugendlichen Lesern  bei seinen Büchern passieren dürfte, wenn sie sich mit Holden oder Franny identifizieren und diese imaginär zum Leben erwecken. Es macht einfach Spaß dies zu lesen, da es frei von Kitsch und falscher Lobhudelung ist und in einer leicht dahinplätschernden Sprache geschrieben ist, die hervorragend zur jungen Joanna passt.


Fazit: Eine Hommage an J.D. Salinger, die auch ihn begeistern würde.

Sonntag, 10. Mai 2015

Gabriele Keiser - Goldschiefer

In einem idyllischen Weindorf wird die Ruhe durch den Fund einer verwesten Frauenleiche jäh gestört. handelt es sich um die seit Jahren vermisste Mary Lou, die schwanger von einem auf den anderen Tag spurlos verschwand? Die Aufregung ist groß und alte Gefühle kochen wieder hoch. Das merkt auch Gesine, die sich erstmals länger auf dem Hof ihres Freundes Leonhard aufhält. Dessen Vater und Großvater bringen ihr offen ihre Ablehnung entgegen - ist das nur, weil sie aus dem Norden kommt? Auch als sich herausstellt, dass die Knochen nicht zu Mary Lou gehören, kehr keine wirkliche Ruhe ein. Die Ermittlerinnen Franca und Clarissa sind hartnäckig und wollen beide Fälle lösen.

Ein Krimi angesiedelt in einer beschaulichen Region, in der man ehrbare Menschen erwartet und die Welt noch in Ordnung zu sein scheint. Der Fall wird stringent verfolgt bzw. die beiden Fälle gelungen verknüpft. Der Krimi bleibt so von überschaubarer Länge und Komplexität, was aber gemessen am Genre Regionalkrimi völlig in Ordnung geht. Daneben kommen auch die Region und die Weinlese nicht zu kurz, was diesen Roman unverwechselbar zwischen Rhein und Nahe ansiedelt.


Fazit: Ein überzeugender Regionalkrimi – kurz und knackig für zwischendurch.

Samstag, 9. Mai 2015

Thomas Brussig - Das gibt's in keinem Russenfilm

Thomas Brussig schreibt die deutsch-deutsche Geschichte um. Sein Held – ein Autor namens Thomas Brussig – erlebt zunächst die 80er Jahre in der DDR, wo er Bekanntschaft mit dem Militär und der Stasi machen darf und erste Beziehungen zu Frauen pflegt. Beim Verfassen von Liebesbriefen im Auftrag seiner Kameraden kommt ihm der Gedanke das Schreiben zu seinem Beruf zu machen, nicht ahnend, welche Folgen das in der DDR haben kann. Sein erster Roman wird eher zufällig ein Erfolg und er so bekannt, dass seine Aussagen ihn auf Jahre hin verfolgen werden. Die Wende von 1989 fällt aus und der Sozialismus existiert schlichtweg weiter. Mit einigen kleinen Veränderungen zwar, die Reisefreiheit wird gelockert und sogar Telefone und Autos für jedermann werden irgendwann möglich, aber veröffentlichen kann er trotzdem nicht alles. Er nähert sich der Gegenwart an und wundert sich über literarische Auswüchse, die eine friedliche Revolution in Deutschland samt Wiedervereinigung zum Inhalt haben - aber so einen Unfug gibt es ja noch nicht einmal in einem Russenfilm.

Auch wenn der Roman stark darauf konzentriert ist, dass das Großereignis deutscher Geschichte ausfällt, finde ich, dass doch die Entwicklung der Figur Thomas Brussig eigentlich im Vordergrund steht. Wie er sich immer wieder mit seiner Situation arrangiert, Auswege findet, Repressalien hinnimmt oder sich geschickt wegduckt. Mehr als die Fantasterei wird so der kleine Bürger im Sozialismus dargestellt, der sich irgendwie im System sein Leben einrichten muss und das Private wie das Öffentliche unter einen Hut verbringen zu sucht. Als bekannte Persönlichkeit bleibt natürlich das Schicksal des Autors mit dem seines Landes eng verknüpft, was die politischen Aspekte legitimiert und in ihrer Absurdität herrlich herausarbeitet. Sprachlich locker plaudernd, immer wieder pointiert die Situation auf den Punkt gebracht, ist der Roman einfach unterhaltsam zu lesen.


Fazit: ein unterhaltsames Gedankenexperiment mit starkem Protagonisten. In der Hörbuchversion auch überzeugend und hochgradig unterhaltsam von Stefan Kaminski in Szene gesetzt. 

Mittwoch, 6. Mai 2015

Thomas Melle - 3000 Euro

3000 Euro – die ein Leben verändern können. Anton könnten sie retten vor dem bevorstehenden Gerichtstermin, seine Schulden wären weg, vielleicht könnte er einen Weg zurück ins Leben, fern der Obdachlosigkeit oder der Heimwohnung finden. Für Denise ist es genau die Summe, auf die sie wartet. Für die sie sich zum Pornodreh herabgelassen hat, um dem tristen Alltag zwischen Supermarktkasse und beeinträchtigter Tochter zu entfliehen. Beide begegnen sich häufig und nähern sich eines Tages an. Als Denise endlich ihr Geld erhält, stellt sich die Frage, ob sie schon so weit sind mit einander und für einander.

Der Roman beginnt stark, Anton und Denise können als Figuren am Rand der Gesellschaft überzeugen und sind glaubwürdig gezeichnet. Doch je weiter sich ihre Zuneigung entwickelt, desto mehr haben sie mich verloren. Je weiter sie von den sozialkritischen Zuständen wegkommen, desto wenig konnten sie mich packen, so dass ich letztlich doch enttäuscht vom Roman blieb, der sein Potenzial für mich nicht voll entfalten konnte.


Lovelybooks Let's Read in English Challenge - Mai



Reading List Mai:

46. Ian Mc Ewan - The Children Act
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47. Joanna Rakoff - My Salinger Year
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48. Mark Watson - Eleven
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49. Helen Walsh - The Lemon Grove
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50. Matthew Quick - Forgive Me, Leonard Peacock
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51. JD Salinger - The Catcher in the Rye
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Read in January: 1-7 (blog/lovelybooks)
Read in February: 8-16 (blog)
Read in March: 17-31 (blog)
Read in April: 32-45 (blog)


The challenge on lovelybooks.

Ian McEwan - The Children Act

Im Beruf erfolgreich haben Fiona und ihr Mann ihre Ehe etwas vernachlässigt. Mit fast 60 sind sie kinderlos geblieben und ihr Mann sucht plötzlich Trost bei einer Jüngeren. In diesem emotionalen Tohuwabohu kommt der Familienrichterin ein schwerer Fall auf den Tisch. Der 17-jährige Adam Henry benötigt dringend eine Bluttransfusion, sonst wird er innerhalb weniger Tage sterben. Die Eltern lehnen dies aus religiösen Gründen ab, das Krankenhaus fordert die notwendige Behandlung ein. Adam scheint mit seinem Schicksal abgeschlossen und Fiona muss eine Entscheidung treffen. Die Aussagen vor Gericht sind ihr zu vage, sie besucht den Jungen kurzerhand und trifft auf einen unglaublichen Menschen, der seine Spuren bei ihr hinterlässt. Fest in seinem Glauben und dennoch voller Tatendrang und Lebenswille – kann sie dem ein Ende bedeuten?

Einmal mehr gelingt es Ian McEwan mit einer unglaublich dichten Erzählung, die minutiös die Figuren begleitet eine einzigartige Stimmung zu schaffen und den Leser gefangen zu nehmen. Der starke Auftakt des persönlichen Dramas Fionas, das sie ausblendet ist schon sehr gelungen, jedoch läuft er in der Schilderung der Gerichtsverhandlung und noch mehr im Gespräch zwischen Fiona und Adam zur Höchstform auf. Die Sensibilität und Feinfühligkeit, die er seinen Figuren verleiht, die so verschieden sind und doch ähnlich. Wie er Poesie und Musik instrumentalisiert, um durch die die Emotionen fließen zu lassen und den gefühlsmäßigen Ausnahmezustand darzustellen, kann kaum übertroffen werden. Dies gelingt ihm am Ende des Buches mit der Konzertszene ein weiteres Mal und sucht seinesgleichen.  Einige kleine Längen in der zweiten Hälfte, die aber zur verstreichenden Zeit passen, können das Leseerlebnis nicht trüben.

Die Themenwahl ist mutig. Einen solchen Konflikt zwischen religiöser Überzeugung des einzelnen und Wahrung der individuellen Glaubensrechte einerseits und der überreligiösen Menschenrechte und Überzeugungen der notwendigen lebenserhaltenden Maßnahmen auf der anderen, der den Autor zwingt eine Entscheidung zu fällen und sich zu positionieren, ist nicht ohne Risiko. Die Lösung kann überzeugen, juristisch dürfte sie wasserdicht sein und tief in diesem Konflikt als Leser steckend, nimmt man sie an – nicht ahnend, welche Folgen sie haben wird.


Fazit: einmal mehr ein überragender Roman eines herausragenden Autors.

Sonntag, 3. Mai 2015

Nick Louth - Die Suche

Max Carver begleitet seine Verlobte Erica Stroud-Jones nach Amsterdam, weil sie dort auf einem wichtigen Kongress den Durchbruch in der Malariaforschung präsentieren wird. Doch in der Nacht vor der entscheidenden Präsentation verschwindet sie spurlos. Die Polizei schient dem Fall auch nur begrenzte Relevanz zuzuschreiben. Derweil breitet sich in den Niederlanden ein grausames Szenario aus: zahlreiche Personen sind mit einer neuen Form von Malaria infiziert, deren Ursprung, Infektionswege und vor allem Heilungsmöglichkeiten gänzlich unbekannt sind. Gibt es einen Zusammenhang. Schnell gerät Max bei seinen privaten Nachforschungen an zwielichtige Gestalten, die ihm sehr deutlich machen, dass seine Fragen nicht erwünscht sind. Auch die Forscher tragen ihre persönlichen Animositäten aus, will doch jeder das Renommee bei dieser unglaublichen Chance einheimsen.

Ein interessantes Szenario hat Nick Louth hier kreiert. Eine Erkrankung, die für Pharmakonzerne wirtschaftlich uninteressant ist, weil die Kranken arm und in Afrika sind. In Europa oder Nordamerika lässt sich einfach mehr Geld verdienen. Dies machen sich die Figuren zu Nutze. Wissenschaftlich spannend, wie sich das Virus in den Niederlanden ausbreitet, als Nichtfachfrau würde ich es auch als durchaus nachvollziehbar und authentisch einstufen. Leider nimmt dieser Handlungsstrang nur einen Teil der Handlung ein – dabei wäre das Szenario sicher ausdehnbarer und spannend gewesen. Stattdessen tritt die absurde und völlig an den Haaren herbeigezogene Verfolgungsjagd und Suche von Max immer mehr ins Zentrum, dabei lässt sie mehrfach jede Glaubwürdigkeit vermissen – Hauptsache Action, Geballer und eine attraktive Frau schein hier die Devise gewesen zu sein. Ein dritter Handlungsstrang – Tagebucheinträge aus Ericas Afrikaerfahrung – erweist sich zwar am Ende als durchaus relevant, ist aber in weiten Teilen ohne erkennbaren Zusammenhang und findet keinen wirklichen Anschluss an die restliche Handlung.

Die Figurenzeichnung lässt ebenfalls zu wünschen übrig. Max Carver ist einen durchschnittlichen Hollywood-Blockbuster entsprungen – mit allem was dazu gehört: unverwundbar, einsamer Held, mit Superkräften ausgestattet und natürlich auch noch so attraktiv, dass alle Frauen sofort auf ihn anspringen. Schlichtweg: tausend Mal gesehen und immer noch doof. Seine Kontrahentin Lisbeth wurde offenbar bei Larsson abgeschrieben, nicht mal die Mühe einen neuen Namen zu erfinden macht sich Louth. Die junge Wissenschaftlerin, die noch eine bescheidene Rolle bekommt, bleibt ebenfalls schablonenhaft, genauso wie alle anderen Figuren. Der Schreibstil ist durchaus unterhaltsam und kann die Spannung aufrechterhalten – bekannt Mittel wie kurze Kapitel, schnelle Szenenwechsel machen es möglich.


Fazit: trotz zahlreicher Schwächen kann der Thriller über weite Strecken fesseln. Vermutlich könnte er als Film ein entsprechendes Publikum mehr begeistern.

Samstag, 2. Mai 2015

Markus Morgenroth - Sie kennen dich! Sie haben dich! Sie steuern dich!

Die Datensammler sind immer und überall. Markus Morgenroth erläutert, wo wir sie finden – oder sie uns finden – was sie speichern und wie uns als Verbraucher das ganze zum Verhängnis werden kann. Er geht auf die Diskriminierung auf Basis von pauschalen Datensätzen ein, die Schlüssen, die aus unserem Kaufverhalten gezogen werden, Datensammlung im öffentlichen Raum, dem Umgang mit unseren Gesundheits- und vor allem Krankheitsdaten und den Angewohnheiten (potentieller) Chefs. Auch von der anderen Seite, der der Analysten wird berichtet sowie den allseits beliebten sozialen Netzwerken und ihren versteckten Algorithmen. Alles wird durch anschauliche und erschreckend konkrete Beispiele verdeutlicht und mit zahlreichen Studien und Fakten unterlegt. Zum Abschluss folgen Tipps zum Schutz – und für den Fall, dass es schon zu spät ist.

Das meiste, was er zusammenträgt dürfte dem aufmerksamen Nutzer von Handy und Computer und vorsichtigen Verbraucher bereits bekannt sein. Geballt in einem Buch ergibt sich nochmals ein eindringlich warnendes Bild. Auch Details – wie die Tatsache, dass scheinbar die Mehrheit der Deutschen von der Existenz und Arbeit der Schufa nichts weiß – haben durchaus informativen und unterhaltenden Wert.


Fazit: ein Must-Read für all diejenigen, die immer noch Payback Karten nutzen, unter Klarnamen im Internet Party-Bilder posten und sich wundern, weshalb sie schlechte Kreditangebote bekommen. Für alle anderen eine Art Erst-Hilfe Auffrischungskurs in Sachen Datensammelei und Überwachung.
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