Sonntag, 27. Oktober 2013

William Shaw - Abbey Road Murder Song

1968, London. Die Jugend ist im Aufruhr, die Beatles und andere Popgruppen verändern die Welt. Ihre Eltern verstehen sie nicht mehr und so ist es auch nicht verwunderlich, dass niemand das blonde Mädchen vermisst, das ermordet in einem Hinterhof aufgefunden wird. Erst die junge Polizeianwärterin Tozer hat den richtigen Riecher und bringt Sergeant Breen auf die richtige Fährte um Umfeld der Beatles-Fans.  Schon bald scheint sich der Mord als Familiendrama zu entpuppen, doch Breen und Tozer sind nicht davon überzeugt und ermitteln weiter.

William Shaw hat einen interessanten Krimi geschaffen, der sich unerwartet politisch entwickelt und ein heut weitgehend ausgeblendetes Thema aufgreift. Für mich meistens ein Pluspunkt, doch in diesem Fall erscheint mir das Motiv für den Mord etwas zu weit hergeholt und konstruiert, es dauert auch zu lange, bis das eigentliche Motiv in den Fokus rückt. Gleiches gilt dem zweiten Mordfall, der immer wieder aufgegriffen, aber letztlich vergessen wird. Dazu verschwinden andere Figuren wie die Nanny, die die Leiche entdeckt und zunächst einen großen Raum einnimmt. Mit Tozer und Breen wurden zwei Außenseiter zu Protagonisten gemacht, die jedoch dank ihrer Überzeugungen und dem durch und durch guten Herzen für den Leser ungemein sympathisch erscheinen.

Fazit: unterhaltsam beim Lesen, jedoch insgesamt zu viel hineingepackt.

****/4

Montag, 21. Oktober 2013

Ian McEwan - Sweet Tooth

Serena Frome blickt knapp vierzig Jahre in die Vergangenheit, in die Zeit als sie für dem MI5 als Agentin tätig und eine sehr kurze Karriere hatte. Clever und hübsch hatte die Pfarrerstochter beste Aussichten auf ein erfülltes Leben. Entgegen ihrer Intuition Literatur zu studieren, folgt sie dem Wunsch der Mutter und widmet sich in Cambridge der Mathematik. Über eine kurze Beziehung mit einem Kommilitonen lernt sie den Professor Tony Canning kennen, der ihr den Weg in den Geheimdienst ebnet. Dort sind Frauen in den 70ern allerdings nicht gerne gesehen und werden mit Sekretariatsaufgaben abgespeist. Doch Serenas Chance kommt, sie soll am Projekt "Sweet Tooth" mitarbeiten und den Autor Tom Haley heimlich an den Secret Service binden. Was als spannende Aufgabe beginnt und ihr die Arbeit mit ihrer Leidenschaft Literatur ermöglicht, wird irgendwann belastend, denn Serena und Tom verlieben sich - aber es steht eine Lüge zwischen ihnen und Serena wartet verzweifelt auf den Moment, die Karten auf den Tisch legen zu können. Mit Haleys steigendem Erfolg, steigt auch die Gefahr, entdeckt zu werden.

Ian McEwan schenkt dem Leser genau das, was man erwartet: Eine intensive Geschichte voller Liebe zum Detail, die die Gefühle und Zerrissenheit der Figuren ebenso einfängt wie mit kompositorischen Tricks Literatur in der Literatur liefert. Als Gespräche über Autoren und Werke und ebenso Toms Geschichten, die nahtlos eingebettet werden. Dabei eine wunderschöne, blumige Sprache, die für mich McEwans größte Stärke ist, es ist schlichtweg Genuß pur, wie er die Welt in Worte fasst und Ausdrücke findet, die fern von Banalität ins Schwarze treffen.

Nach dem etwas enttäuschenden "Solar" wieder ganz große Literatur.

Samstag, 19. Oktober 2013

Eugen Freund - Der Tod des Landeshauptmanns

Jörg Haider verunglückte tödlich. So viel ist bekannt, aber steckte dahinter nicht doch die Tat eines der großen Geheimdienste? Dieser Verdacht drängt sich Jasmin Köpperl auf, deren Freund spurlos verschwunden ist, der ihr jedoch mehrfach täglich E-Mails mit belastenden Inhalten schickt. Was weiß Stefan? Ist das so brisant, dass der Heeresnachrichtendienst seinen Tod vortäuscht, oder hat er das selbst als Maßnahme inszeniert, um Zeit für die Flucht zu gewinnen? Ein Wettlauf zwischen Polizei und HNA beginnt, zwei alte Freunde kämpfen gegeneinander und einer hat dabei keine saubere Weste.

Freund lässt verschiedene Handlungsstränge übereinander liegen und lange Zeit bleibt unklar, wie sie miteinander verbunden sind. Immer schwebt im Raum, dass der Tod Haiders nicht auf einen banalen Autounfall zurückzuführen ist, vor dieser Schablone spielt sich zugleich eine zweite Handlung ab, die jedoch ebenfalls direkte Drähte ins rechtsextreme Milieu hat. Dem Autor gelingt es jedoch, am Ende alles sauber zu lösen.

Auch wenn es zur Lösung kam, bleiben doch ein paar logische Zweifel, weshalb Stefan Jasmin Mails mit diesem Inhalt und nicht Belastungsmaterial gegen seinen Vorgesetzten schickt. Ebenso hat mich gestört, dass mit der Figur Jasmin das übliche Klischee des naiven dummen Weibchens bedient wird, was umso weniger passt, da sie zugleich eine angesehen Journalistin sein soll. Nach Ende der Lektüre frage ich mich auch, ob hier nicht die Popularität Haiders benutzt wird, um eine etwas dünne Geschichte aufzupeppen, denn von diesem Fall bleibt letztlich zu wenig übrig.

***/5

Donnerstag, 17. Oktober 2013

Daniel Kehlmann - Ruhm

Neun Geschichten, neun Protagonisten, neun Mal Alltag mit Verzweiflung, Hoffnung, Suche nach einem anderen Leben. Kehlmanns Roman besticht weniger durch die Handlung, diese ist alltäglich, bisweilen fast banal, sondern durch die Konstruktion der Kurzgeschichten. Diese sind durch die Figuren verbunden, die plötzlich in einer anderen Geschichte wieder erscheinen und dort zur Haupt- oder eben Nebenfigur werden. Gemeinsam haben alle eine hohe Individualität und Problembehaftetheit im Dasein. Ihr Leben und die Personen um sie herum lässt sie im geringsten Fall unglücklich, im schlimmsten depressiv erscheinen.

Unerwartet unterhaltsam nährt sich Kehlmann den Figuren, spielt auch mal mit den Erzählebenen und dem Leser und schafft einen ungewöhnlichen kurzen Roman.

Mittwoch, 16. Oktober 2013

Wilhelm Speyer - Ich geh aus und du bleibst da. Der Roman eines Mannequins

Im Berlin der 20er Jahre arbeitet Gaby in einem Damenmodengeschäft als Verkäuferin. Jedoch nicht nur das, sie darf den Damen den Gesellschaft die edlen Roben und Pelze als Mannequin vorführen. So glamourös der Arbeitstag, so bescheiden ist das Leben danach, mit Georg und ihren besten Freundin Christa und Walter führt sie eine einfache Gemeinschaft, die mehr schlecht als recht über die Runden eines kleinen Angestellten kommt. Eines Tages bietet sich ihr die Chance des Aufstiegs. Nur ein wenig dem adretten Herrn von Haller vergnügliche Stunden besorgen und ihr winkt eine unvorstellbar große Summe, die ihr die Zukunft sichert. Doch bald schon scheint das Mädchen unsanft auf dem Boden der Realität zu landen und noch weit tiefer zu fallen.

Wilhelm Speyer hat einen vergnüglichen Roman um das aufstrebende Mädchen Gaby geschrieben, die mit Humor und Pfiffigkeit gesegnet den Männern reihenweise sympathisch den Kopf verdreht. Im typischen Stil der neuen Sachlichkeit beschreibt er ihr Dasein und das Streben nach oben, sich ungeahnt bietende Möglichkeiten und banale Realität. Bisweilen erinnert Gaby mich an Irmgard Keuns kunstseidenes Mädchen - besonders durch den Diebstahl des Mantels. Ein kritischer Blick auf die Gesellschaft seiner Zeit, sprachlich heute zum Teil etwas veraltet anmutend, aber dadurch umso überzeugender als Zeitzeuge und thematisch aktuell wie vor über 80 Jahren: wer möchte nicht ein kleines Stück vom Glück und träumt nicht vom sorgenfreien Leben?

Man kann dem Elsinor Verlag nur danken dafür, Speyer wieder aufzulegen und heutigen Lesern zugänglich zu machen. Ein absoluter Schatz.

Samstag, 5. Oktober 2013

Beile Ratut – Das schwarze Buch der Gier


Alba freut sich, ihr sechster Geburtstag, zu dem sogar ihre Tante Merete gekommen ist, die sie sonst nur sehr selten sieht. Doch aus dem Fest wird nichts, denn ihr Bruder Samuel verschwindet spurlos. Trauer, Verzweiflung, Fragen ohne Antworten sind die Reaktion. Merete verlässt nach einem Streit das Haus und verschwindet aus dem Leben von Albas Familie. Diese zerbricht an dem Schicksalsschlag und aus dem fröhlichen Mädchen wird eine verzweifelte Frau, die kein Vertrauen zu den Menschen fassen kann, der es nicht gelingt, sich mitzuteilen und die in Einsamkeit und Depression versinkt. Immer wieder streifen Männer ihren Weg, doch nie kann aus dem ersten Interesse eine Verbindung werden, sie hält Distanz und wartet immer auf die Antwort, warum ihr Bruder verschwunden ist.


Beile Ratut hat einen schweren Roman geschrieben. Aus jeder Zeile springen den Leser die Verzweiflung, die Trauer und auch die Hilflosigkeit Albas an. Man wünscht ihr so sehr, glücklich zu werden, mit dem Schicksal Frieden zu schließen, doch sie kann es nicht. Weder als Kind, noch mit Mitte 20, noch mit Mitte 40. Die seelische Gewalt, die das Mädchen erlebt, wird durch physische Gewalt, mit der sie sich beschäftigt und die sie sich ausmalt, verlagert, bis auch diese sie einholt. Ausdrucksstark, beängstigend und verstörend wirkt das Buch auf mich. Mir fehlt der Funke Hoffnung – auch wenn der in der Realität auch nicht immer gegeben ist.

Donnerstag, 3. Oktober 2013

Alexander Emmerich - "Wut im Quadrat"

Olivia von Sassen flüchtet aus Berlin, in Mannheim wird sie ihre neue Stelle als Kommissarin antreten. Nach einer langen Zugfahrt ist sie fast angekommen, als sie in Höhe des Rangierbahnhofs aus dem ICE heraus einen Mord beobachtet. Eine Notbremsung und ihr erster Fall beginnt. Dumm nur, dass weder Mörder noch Leiche zu finden sind und die neuen Kollegin sie nur als die Frau mit dem Fehlalarm ansehen. Doch schon am nächsten Tag wird das Opfer angespült und für Olivia und Kollege Moritz Martin beginnen die Ermittlungen in der Quadratestadt. Der Mord ist nicht der einzige Fall, um den sie sich kümmern müssen, auch der 12-jährige Thomas wurde entführt. Dass es hier einen lebensbedrohlichen Zusammenhang geben könnte, sehen die Ermittler nicht gleich.

Ein überzeugender Einstieg in eine neue Krimi-Reihe. Die Figuren haben Wcken und Kanten und passen in ihrer ruppig-ironischen Art einwandfrei nach Mannheim, das wenig prätentiös ist und im Roman hervorragend eingefangen wird. Überhaupt kommt der Handlungsort gut zur Geltung und passt sich logisch in die Geschichte ein. Das Ermittlerduo zeigt bei aller Arbeit auch Humor und die Zusammenarbeit hat unterhaltsames Potential. Von der unbeantworteten Frage, weshalb Olivia überhaupt an den Rhein ziehen musste, ganz zu schweigen.

Sehr gelungener Auftakt, auf dessen Fortsetzung ich mich jetzt schon freue.

*****/5

Britta Mühlbauer – Inventurdifferenz

Marlies Wolf ist auf der Flucht. Sie hat eine Straftat begangen und ist ans andere Ende der Welt geflüchtet, um eine gewisse Hanna zu suchen, die ebenfalls untergetaucht scheint. In Rückblenden schildert sie ihr Leben und wie sie Hanna kennengelernt hat. Als Mitarbeiterin einer Security Firma sollte sie in Hannas Baumarkt die Ursache der Inventurdifferenz klären. Die beiden Frauen haben ein angespanntes, aber doch auch nahes Verhältnis, das durch gemeinsame Bekannte – Marlies Kindheitsfreundin und deren Mutter – intensiviert wird. Marlies findet in Hanna ein Vorbild und Orientierungspunkt, ihre Meinung und Anerkennung ist ihr wichtig und so fühlt sie sich beauftragt, einen unglaublichen Racheakt durchzuführen.

Der Roman beginnt verwirrend, die Zeit- und Ortssprünge machen eine Orientierung nicht einfach. Eine große Zahl von Figuren, die auf- und wieder abtauchen, lässt lange Zeit kein klares Bild zu. Erst im letzten Drittel entfaltet sich der Kern der Handlung und gibt Antworten auf wesentliche Fragen. Hier tritt auch ein völlig neuer Aspekt hinzu: unglaubliche Gewalttätigkeit und Brutalität, die en détail geschildert wird. Das Cover – harmlose fünf Nägel – gewinnt eine völlig neue Aussagekraft. Sprachlich bisweilen durch österreichische Ausdrücke irritierend, insgesamt jedoch stimmig.

Für mich war das Buch keine leichte Kost. Sehr lange habe ich gebraucht, um in die Handlung zu finden, was vor allem an den durchweg unsympathischen Figuren lag. Für meinen persönlichen Geschmack wurde auch zu lange Zeit getändelt, ohne dass die Handlung vorankam oder das Erzählte relevant gewesen wäre. Die Episoden über Hannas Ansichten zum Verhältnis der Geschlechter waren interessant – kamen aber viel zu kurz. Dafür gerieten die die Gewaltdarstellungen am Ende unerträglich lang und detailliert.


***/5
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