Greer Kadetsky hätte eigentlich auf eine der
Ivy-League-Universitäten gehen sollen, aber es scheiterte am Geld, da ihre
Eltern die Anträge auf ein Stipendium vermasselten. Also bleibt sie zu Hause
wohnen und geht auf das Ryland College in Connecticut. Dort macht sie bei einer
der typischen Partys Bekanntschaft mit Darren Tinzler, der sich gleich
reihenweise den jungen Studentinnen aufdrängt und sich das nimmt, was er
möchte. Die Universität versucht den Skandal zu verhindern und lässt ihn trotz
zahlreicher Aussagen weiblicher Studierender davonkommen. Als kurze Zeit später
die charismatische Frauenrechtlerin Faith Frank einen Vortrag hält, bittet
Greer sie um einen Ratschlag, was man den tun könne, um sich in einer so
offenkundig Männer-dominierten Welt durchzusetzen. Diese Begegnung wird ihr
weiteres Leben bestimmen, da ihr Faith nach dem Abschluss einen Job in ihrer
Organisation Loci, die sich für benachteiligte Frauen einsetzt, anbietet.
Voller Enthusiasmus startet Greer in ihr neues Leben in New York. Ihr Freund,
den sie schon aus Schultagen kennt, verfolgt derweil gleichermaßen seine
Karriere. Was so vielversprechend beginnt, bekommt jedoch bald Risse und beide
müssen sich fragen, was im Leben letztlich wirklich zählt und wie ehrlich sie
gegenüber sich selbst waren.
Einmal mehr kann Meg Wolitzer restlos überzeugen. Wieder
einmal, wie auch in „The Interestings“ und „Belzhar“ wählt sie junge Figuren
auf dem Weg zum Erwachsenwerden als Protagonisten. Sie passen nicht wirklich in
die Welt, in der sie leben, haben große Erwartungen an ihre eigene Zukunft und
dank der Talente, die ihnen in die Wiege gelegt wurden, scheint es auch so, als
wenn sich diese realisieren ließen. Doch das Leben verläuft nicht geradlinig
und bald schon kommen Hürden, die die Figuren erst einmal überwinden müssen.
In ihrem aktuellen Buch dominiert neben diesem typischen
coming-of-age-Thema jedoch noch ein weiterer Aspekt, der im Kontext der
vergangenen Monate noch eine höhere Relevanz erhält. Auch wenn die schillernde
Faith Frank eine Vorreiterin der Frauenrechte ist und sich ihr Organisation dem
Kampf für die unterdrückten Geschlechtsgenossinnen widmet, auch wenn Greer
schon zu Beginn belästigt wird und die Studentinnen versuchen sich gegen das
ungerecht milde Urteil gegen den Täter zu wehren, ist das Buch keine
feministische Kampfansage.
Faith Greer ist nur in den Augen der jungen
Mitarbeiterinnen, als deren Mentorin sie viel eher fungiert denn als Chefin,
die idealistische Kämpferin. Die Realität sieht anders aus und Greer wird bald
schon vor einen Gewissenskonflikt gestellt. Gleichzeitig erfährt auch die
Geschichte um Greers Freund Cory eine feministische Umkehr, ist dieser bereit
alle maskulinen Attribute zu opfern und sein Leben nach einem Schicksalsschlag
völlig neu auszurichten.
Meg Wolitzer beginnt ihre Geschichte im Jahr 2006, am Ende
sind wir 2019 und Greer hat doch noch ihre Ideale verfolgen können und ist
dabei auch überaus erfolgreich. Die Autorin wurde in ihrer Heimat von den
Kritikern vielfach mit dem Vorwurf kritisiert, einem Zeitgeist
hinterherzurennen und sich zu sehr von dem aktuellen politischen Geschehen der
USA beeinflussen zu lassen. Dies ist mir jedoch zu einfach, denn Wolitzers
Frauen kommen keineswegs als die unschuldigen Opfer daher: Faith wie auch Greer
haben betrogen, andere Frauen betrogen, auf deren Rücken ihre Karrieren
verfolgt und damit ziemlich genau das getan, was die Feministinnen bei den
Männern kritisieren. Und die Rollenmuster werden gleichermaßen in Frage
gestellt. Auch liefert das Buch keine einfachen Antworten, denn die gibt es
auch 2019 noch nicht, außer vielleicht Greers Erkenntnis, dass sie ihre „Outer
Voice“ benutzen muss, wenn sie in dieser Welt gehört werden will.
Ein vielschichtiger Roman, der durchaus mehr als aktuell
ist, aber sicherlich auch diese Zeit überdauern wird.