Sonntag, 23. Juli 2017

Zadie Smith - Swing Time

Zwei Mädchen – ein Traum: aus den ärmlichen Verhältnissen ihrer Familien hinaus auf die großen Bühnen, tanzen und singen. Aber nur Tracey ist talentiert genug, eine Tanzschule zu besuchen, wohingegen die Erzählerin von ihrer Mutter gezwungen wird, eine normale Schule mit weißen Mädchen zu besuchen. Bildung ist wichtiger als ein Spleen. Die Wege der Freundinnen trennen sich und einige Jahre später ist die Erzählerin persönliche Assistentin eines Weltstars, die andere kämpft im Alltag ums Überleben: ohne Karriere, dafür mit Kindern. Ihre Wege kreuzen sich wieder und die Fragen, wer im Leben etwas erreicht hat und wer glücklich ist, steht für beide im Raum.

Die Freundschaft der Mädchen und ihre jeweilige Entwicklung ist für mich der zentrale Aspekt des Romans, wobei Zadie Smith noch sehr viel mehr hineingepackt hat. Als erstes, wie können sich zwei Mädchen mit ähnlichen Startvoraussetzungen so unterschiedlich entwickeln? Sie sind Freundinnen, teilen die Idole und unterscheiden sich nur durch Talent. Ihr Familienhintergrund macht sie zu Außenseitern, sie wissen sich in der Welt der Mittelschicht nicht zu verhalten, sie kennen die erforderlichen Codes nicht. So machen sie Erfahrungen, die die weißen Mädchen nie machen werden, was jene als Missbrauch bezeichnen würden, ist für Tracey und die namenlose Erzählerin normal.

Sie sind jedoch nicht nur durch ihr respektives Talent in ihren Chancen verschieden. Die Mutter der Erzählerin ist ein typisches Beispiel für eine Frau, die die vorherrschende soziale Ordnung nicht hinnehmen möchte und für ihre Tochter auf ein besseres Leben hofft. Durch ihren Kampf vergisst sie jedoch das Kind und ihre Mutterrolle. Liebe scheint es zwischen den beiden nicht zu geben. Sie meint es gut, ist streng, aber niemals liebevoll.

Eine weitere interessante Beziehung ist die zwischen der Erzählerin und ihrer Chefin Aimee, einer erfolgreichen Sängerin. Fälschlicherweise glaubt sie, dass so etwas wie Freundschaft entstanden wäre, wohingegen Aimee nur sieht, dass sie jemanden bezahlt und derjenige seinen Job zu erfüllen hat. Die Erzählerin reist um die Welt, trifft berühmte Menschen – aber was hat sie selbst erreicht? In diesem Zusammenhang kommt eine weitere Thematik ins Spiel: der Umgang der Engländer mit Bewohnern ehemaliger Kolonien wurde bereits in der Kindheit der Mädchen thematisiert, nun aber wird eine Berühmtheit in ein afrikanisches Dorf gebracht, um dort „etwas Gutes“ zu tun. Schöne Bilder entstehen, aber welchen Nutzen für die Menschen hat es vor Ort?

Es ließe sich noch vieles mehr im Roman thematisieren, die narrative Struktur, die bewusst gewählte Perspektive, die einseitig bleibt und vieles im Dunkeln lässt. Zadie Smith hat mit „Swing Time“ ihren meiner Meinung nach bisher tiefgründigsten Roman vorgelegt.


Freitag, 21. Juli 2017

Yaa Gyasi - Heimkehren

Über Jahrhunderte hinweg und über den Atlantik zieht sich die Geschichte von Effia und Esi. Geboren zu Ende des 18. Jahrhunderts in der ehemaligen britischen Kolonie, die heute Ghana ist, entwickeln sich ihre Leben völlig verschieden und der Leser folgt ihrer Blutlinie. Von rivalisierenden Stämmen in Afrika, über die Sklaverei, von minimalem Schulunterricht in Missionsschulen bis zu höherer Bildung, vom afrikanischen Dschungel hin in den Dschungel der modernen Großstadt. Wir erleben das Erbe der beiden Schwestern, wie Generationen später ihre Geschichte nicht vergessen ist und wie sogar über Jahrhunderte und Grenzen der Kampf für Selbstbestimmtheit und ein freies Leben geführt wird – wenn auch oftmals erfolglos. Vielleicht liegt auf der Familie ein Fluch, der nicht überwunden werden kann.

Die Geschichte beginnt mit eher langsamem Tempo in Ghana vor mehr als 200 Jahren. Man erlebt intensiv das Leben und vor allem die Lebensverhältnisse im Dorf und die vorherrschenden Gesellschaftsstrukturen. Was ich an diesem Teil am beeindruckendsten fand, war die Rolle der Frauen in der Gemeinschaft, insbesondere wie verschiedene Frauen einen Ehemann „teilen“ konnten und sich dennoch in einer für sie akzeptablen Lebenssituation wiederfinden konnten. Die Kämpfe zwischen den verschiedenen Stämmen waren faszinierend, vor allem, da wir so etwas in der Form aus der europäischen Geschichte nicht kennen. Die Kolonialisierung hat einen anderen Blick auf Afrika geworfen – der Kampf zwischen der Urbevölkerung und dem britischen Kolonialherren. Die religiösen Aspekte waren hier besonders aufschlussreich.

Über der ganzen Geschichte lag zudem eine Frage, die immer wieder aufkam: inwieweit ist der Glaube an das Böse eine in sich selbst erfüllende Prophezeiung? In Amerika eilen wir von der Sklaverei in den Südstaaten über das Civil Rights Movement in die Gegenwart – wo nach all der Zeit immer noch die Hauptfarbe ein wesentlicher Faktor für die Chancen im Leben darstellt.


Yaa Gyasis Roman ist voll von unzähligen Einzelthemen, die sich in einer einzigen Rezension kaum alle ansprechen lassen. Bemerkenswert, wie sie der Familienlinie über Zeit und Raum folgt und dabei die Verbindung zu den Ahnen immer aufrechterhalten kann. Diese Familienerinnerung ist beeindruckend. Alles in allem, ein farben- und facettenreicher Roman, der einem Unmengen an „Food for Thought“ liefert, insbesondere über unterschiedliche Wahrnehmungen historischer Ereignisse. 
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