Über Jahrhunderte hinweg und über den Atlantik zieht sich
die Geschichte von Effia und Esi. Geboren zu Ende des 18. Jahrhunderts in der
ehemaligen britischen Kolonie, die heute Ghana ist, entwickeln sich ihre Leben
völlig verschieden und der Leser folgt ihrer Blutlinie. Von rivalisierenden
Stämmen in Afrika, über die Sklaverei, von minimalem Schulunterricht in
Missionsschulen bis zu höherer Bildung, vom afrikanischen Dschungel hin in den
Dschungel der modernen Großstadt. Wir erleben das Erbe der beiden Schwestern,
wie Generationen später ihre Geschichte nicht vergessen ist und wie sogar über
Jahrhunderte und Grenzen der Kampf für Selbstbestimmtheit und ein freies Leben
geführt wird – wenn auch oftmals erfolglos. Vielleicht liegt auf der Familie
ein Fluch, der nicht überwunden werden kann.
Die Geschichte beginnt mit eher langsamem Tempo in Ghana vor
mehr als 200 Jahren. Man erlebt intensiv das Leben und vor allem die
Lebensverhältnisse im Dorf und die vorherrschenden Gesellschaftsstrukturen. Was
ich an diesem Teil am beeindruckendsten fand, war die Rolle der Frauen in der
Gemeinschaft, insbesondere wie verschiedene Frauen einen Ehemann „teilen“
konnten und sich dennoch in einer für sie akzeptablen Lebenssituation
wiederfinden konnten. Die Kämpfe zwischen den verschiedenen Stämmen waren
faszinierend, vor allem, da wir so etwas in der Form aus der europäischen Geschichte
nicht kennen. Die Kolonialisierung hat einen anderen Blick auf Afrika geworfen –
der Kampf zwischen der Urbevölkerung und dem britischen Kolonialherren. Die
religiösen Aspekte waren hier besonders aufschlussreich.
Über der ganzen Geschichte lag zudem eine Frage, die immer
wieder aufkam: inwieweit ist der Glaube an das Böse eine in sich selbst
erfüllende Prophezeiung? In Amerika eilen wir von der Sklaverei in den Südstaaten
über das Civil Rights Movement in die Gegenwart – wo nach all der Zeit immer
noch die Hauptfarbe ein wesentlicher Faktor für die Chancen im Leben darstellt.
Yaa Gyasis Roman ist voll von unzähligen Einzelthemen, die
sich in einer einzigen Rezension kaum alle ansprechen lassen. Bemerkenswert,
wie sie der Familienlinie über Zeit und Raum folgt und dabei die Verbindung zu
den Ahnen immer aufrechterhalten kann. Diese Familienerinnerung ist beeindruckend.
Alles in allem, ein farben- und facettenreicher Roman, der einem Unmengen an „Food
for Thought“ liefert, insbesondere über unterschiedliche Wahrnehmungen
historischer Ereignisse.