Alice Munro, Nobelpreisgewinnerin 2013 für Literatur, hat mit 82 Jahren ihren nach eigenen Angaben letzten Band mit Kurzgeschichten veröffentlicht. Dies ist ihre Textform, einen ganzen Roman hat sie nie geschrieben. In "Dear Life" entführt sie den Leser in eine andere Zeit, vorwiegend während oder kurz nach dem 2. Weltkrieg nach Kanada. Weniger die großen Städte, sondern mehr das Leben auf dem Land rückt sie in den Fokus - mit all seinen Einschränkungen und zum Teil verbohrten Bewohnern, was vor allem den Frauen, inbesondere den Mädchen und jungen Erwachsenen schwer zu schaffen macht. Die Frauen stehen bei Alice Munro im Zentrum, über sie schreibt sie und ihre Welt stellt sie dar.
Die Geschichten sind sehr verschieden. Gemeinsam ist ihnen oft einen Wendepunkt oder ein zentrales Ereignis im Leben der jeweiligen Protagonistin einzufangen (männliche Hauptfiguren sind selten). Der Kampf mit den Vorurteilen, Einstellungen und Erwartungen an Frauen ist recht häufig das zentrale Thema. Die Protagonistinnen sind meist Außenseiterinnen, sei es, da ihre Familie am Rand der Gesellschaft steht, sei es weil sie eigentümlich und eigenwillig sind und sich nicht fügen wollen. Mein persönlicher Favorit ist "Haven", der Mut, sich einfach über Dinge hinwegzusetzen und am Ende dafür belohnt zu werden, ist inspirierend.
Sprachlich gefällt mir Alice Munro sehr gut. Man merkt, dass sie einer anderen Zeit entstammt und ihre Formulierungen sind entrückt und bezaubernd.
5/5