New York, 20er Jahre des letzten Jahrhunderts. Pauline Manford
hat als Mutter zweier erwachsener Kinder und angesehener Dame besserer
Gesellschaft alle Hände voll zu tun. Minutengenau ist ihr Tag getaktet und
zwischen all den gesellschaftlichen Verpflichtungen, kosmetischen Notwendigkeiten
und spirituellen Heilsmethoden bleibt ihr kaum Zeit, sich mit ihrer Familie
auseinanderzusetzen. Ihr Mann ist derweil durch seine Arbeit vollkommen
eingebunden und sehrt sich nach nichts mehr als nach Ruhe und Abgeschiedenheit
vom städtischen Trubel. Sohn James erklimmt gerade die Karriereleiter und ist
frischgebackener Vater; sein Leben wäre perfekt, würde sich seine Frau Lita
nicht grässlich langweilen obschon sie ihre Tage lediglich mit Müßiggang und die
Nächte mit Tanzveranstaltungen füllt. Tochter Nona indes spürt ein allgemeines
Unbehagen mit der Gesamtsituation und Unzufriedenheit mit ihrer persönlichen
Lage, die zwischen freiheitsliebender Unabhängigkeit und Sehnsucht nach Liebe
schwankt. Die zwischenmenschlichen Beziehungen sind schwierig, geradezu
förmlich bisweilen und geprägt von dem, was die Gesellschaft von den einzelnen
erwartet. Als Lita droht auszubrechen und James zu verlassen, ist seitens der
Familie Manford Handeln gefragt, um den schönen Schein zu wahren.
Edith Wharton zeichnet ein detailliertes Bild der Gesellschaft
ihrer Zeit. Es ist bisweilen amüsant, bisweilen erschreckend, wie die Figuren
es nicht schaffen, den Konventionen zu entspringen oder ehrliche Gefühle zu
entwickeln und zu äußern. Alle sind auf ihre Weise gefangen in einem Käfig, aus
dem sie nicht ausbrechen können oder wollen. Ein Buch, das auf die ganz große
Handlung verzichtet und dafür die Nähe im Alltag sucht und findet. Auch wenn
die Figuren und ihr Lebensstil einer längst vergangenen Zeit angehören, werden
sie doch geplagt von Ängsten und Sorgen, die heute noch genauso aktuell sind
wie vor hundert Jahren: was ist wichtig im Leben, welchen Weg soll man
einschlagen, wem kann man vertrauen und wann kann endlich man selbst sein und
dafür auch geliebt werden?
Andrea Ott hat den Originaltext in überzeugender Sprache
dargeboten und bisweilen sehr schöne Formulierungen gefunden, die die Zeit wunderbar
wiederspiegeln. Zahlreiche Annotationen ebenen die Brücke zwischen Edith
Whartons satirischem Blick auf ihre egozentrischen Mitmenschen und der
Gegenwart.
*****/5