Im Beruf erfolgreich haben Fiona und ihr Mann ihre Ehe etwas
vernachlässigt. Mit fast 60 sind sie kinderlos geblieben und ihr Mann sucht
plötzlich Trost bei einer Jüngeren. In diesem emotionalen Tohuwabohu kommt der
Familienrichterin ein schwerer Fall auf den Tisch. Der 17-jährige Adam Henry
benötigt dringend eine Bluttransfusion, sonst wird er innerhalb weniger Tage
sterben. Die Eltern lehnen dies aus religiösen Gründen ab, das Krankenhaus
fordert die notwendige Behandlung ein. Adam scheint mit seinem Schicksal
abgeschlossen und Fiona muss eine Entscheidung treffen. Die Aussagen vor Gericht
sind ihr zu vage, sie besucht den Jungen kurzerhand und trifft auf einen
unglaublichen Menschen, der seine Spuren bei ihr hinterlässt. Fest in seinem
Glauben und dennoch voller Tatendrang und Lebenswille – kann sie dem ein Ende
bedeuten?
Einmal mehr gelingt es Ian McEwan mit einer unglaublich
dichten Erzählung, die minutiös die Figuren begleitet eine einzigartige
Stimmung zu schaffen und den Leser gefangen zu nehmen. Der starke Auftakt des
persönlichen Dramas Fionas, das sie ausblendet ist schon sehr gelungen, jedoch
läuft er in der Schilderung der Gerichtsverhandlung und noch mehr im Gespräch
zwischen Fiona und Adam zur Höchstform auf. Die Sensibilität und
Feinfühligkeit, die er seinen Figuren verleiht, die so verschieden sind und
doch ähnlich. Wie er Poesie und Musik instrumentalisiert, um durch die die
Emotionen fließen zu lassen und den gefühlsmäßigen Ausnahmezustand
darzustellen, kann kaum übertroffen werden. Dies gelingt ihm am Ende des Buches
mit der Konzertszene ein weiteres Mal und sucht seinesgleichen. Einige kleine Längen in der zweiten Hälfte,
die aber zur verstreichenden Zeit passen, können das Leseerlebnis nicht trüben.
Die Themenwahl ist mutig. Einen solchen Konflikt zwischen religiöser
Überzeugung des einzelnen und Wahrung der individuellen Glaubensrechte einerseits
und der überreligiösen Menschenrechte und Überzeugungen der notwendigen
lebenserhaltenden Maßnahmen auf der anderen, der den Autor zwingt eine
Entscheidung zu fällen und sich zu positionieren, ist nicht ohne Risiko. Die
Lösung kann überzeugen, juristisch dürfte sie wasserdicht sein und tief in
diesem Konflikt als Leser steckend, nimmt man sie an – nicht ahnend, welche
Folgen sie haben wird.
Fazit: einmal mehr ein überragender Roman eines
herausragenden Autors.