Ein Griff nach Kieselsteinen, ein Wurf, ein Skandal. Eine
scheinbar unbescholtene Frau attackiert einen Präsidentschaftsbewerber und die
Medien reiben sich die Hände: ein Skandal, den man ausschlachten kann. An dem
Literaturprofessor Samuel geht das völlig vorbei. Frustriert von seinem Dasein verbringt
er die meiste Zeit mit Online-Spielen. Dass ihm eine Studentin ernsthaft droht
und seine bescheidene Karriere zerstören will, passt da nur ins Bild. Erst als
er realisiert, dass die Steinewerferin seine Mutter ist und diese offenbar 1968
eine entscheidende Rolle in den Chicagoer Studentenprotesten gespielt hat, wird
Samuel in die Realität zurückkatapultiert. Wer ist diese Frau, die ihn geboren,
aber schon in jungen Jahren verlassen hat und welche Geister der Vergangenheit
hat sie mit ihrer Attacke heraufbeschworen?
Nathan Hills Erstlingswerk ist mächtig. Die rund 850 Seiten
lassen einem erst einmal zucken, doch dann fliegen die Seiten nur so dahin.
Sowohl Samuels Geschichte in der Gegenwart, sein wenig zufriedenstellendes
Dasein, sein Ärger mit den Studenten - leider kommt gegen Ende die Geschichte
um Laura viel zu kurz, ein wirklich unterhaltsamer Charakter, der mir mehr als
einmal ein Grinsen ins Gesicht zaubern konnte - und seine Spielsucht sind
authentisch geschildert und sicherlich weit weniger individuell als man
zunächst glauben mag. Seine Kindheitsschilderungen, geprägt durch die Brille
des Kindes, das nicht alles versteht, nur Teile sieht und die Zusammenhänge
erst spät nachvollziehen kann, konnten überzeugen. Am stärksten jedoch ganz
sicher ist der Handlungsstrang um Faye und die Studenten 1968. Wie aus dem
braven und strebsamen Mädchen eine vermeintliche Prostituierte und Rebellin
werden konnte, wird glaubwürdig nachvollziehbar beschrieben. Als weiterer
Aspekt wird die Vergangenheit von Samuels Großvater und seine undurchsichtige
Flucht aus Norwegen eingeflochten, auch hier spannende Wendungen und
Geheimnisse, die nach und nach gelüftet werden.
Ein insgesamt vielseitiges Buch, dass parallel mehrere
Handlungen gekonnt miteinander verwebt, ohne den roten Faden zu verlieren. Sich
auf dieser Länge nicht zu verheddern, ist eine Kunst, die Nathan Hill wirklich
beherrscht. Auch die verschiedenen Motive der Figuren greifen am Ende
glaubwürdig ineinander, es bleiben keine Fragen offen, so dass man eine runde
Geschichte hat, die sich über mehrere Generationen zieht. Auch schafft es Hill
sein Tempo an die Handlung anzupassen, die Aufstände werden mit kurzen Kapiteln
und schnell wechselnden Perspektiven geschildert, die Rückblicke in die
Kindheit verlaufen langsamer und intensiver. Handlung und Ton finden so stimmig
zueinander.
Ein toller, vielseitiger Roman, der von der ersten bis zur
letzten Seite überzeugt.
Herzlichen Dank an den Piper Verlag für das
Rezensionsexemplar. Mehr Informationen zum Buch finden sich auf der Seite desVerlags.