Eine Flucht vor der Familie, dem konservativen Leben in Madrid.
Ein junger Maler ist auf der Suche nach der Realisierung seiner Träume. Ziel
ist die Stadt der Liebe, Paris, wo er zunächst ohne Arbeit und ohne Wohnung bei
dem älteren Michel unterkommt. Die beiden Männer verlieben sich und teilen
Wohnung, Bett, Leben. Doch es bleibt immer eine Lücke, nie sind sie völlig
vereint. Die Klassenunterschiede, das Alter, aber auch Michels Erwartungen an
eine bedingungslose, aufopferungsvolle Liebe halten sie davon ab, völlig
ineinander aufzugehen. Ein feiner Riss, der größer wird, je mehr sich der junge
Maler emanzipiert und auf eigenen Beinen steht. Doch die endgültige Trennung
kann nicht durch getrennte Wohnungen geschehen, nicht durch neue Partner, nicht
durch Verleugnung. Erst der Tod kann sie endgültig entzweien.
Ein Roman wie ein Abschiedsbrief. Ein Brief, geschrieben aus
voller Emotion und innerer Erregtheit heraus. Dies zeigt sich vor allem in der
Struktur; nicht zielgerichtet chronologisch lässt Chirbes seinen Erzähler
berichten, sondern sprunghaft, in konzentrischen Kreisen, die Michel im
Mittelpunkt haben, sich mal näher um ihn drehen, mal weiter entfernt sind. Der
regelrechte stream of consciousness lässt die aufgewühlte Stimmung, in der der Erzähler
sich befindet, besonders stark hervortreten. Zunächst die unmittelbaren,
zeitnahen Erinnerungen an den Geliebten, dann der Rückblick auf das
Kennenlernen und wieder eine Annäherung an die Gegenwart. Teils die Beziehung analysierend,
teils fast egoistisch emotionsgeladen wird auf die gemeinsame Zeit geblickt.
Man kann sich kaum vorstellen, dass dies bloße Imagination des Autors sein
soll, zu wirklich und real erscheinen die Gedanken.
Neben der Frage danach, wie weit Liebe gehen darf oder muss,
reißt Rafael Chirbes noch eine Reihe andere Themen an. Die Lossagung von den
Eltern, deren Erwartungen und die nie zu lösende Verpflichtung, die man als
Kind ihnen gegenüber empfindet. Gleichzeitig auch Homosexualität und die Frage,
wie diese aufgenommen wird. Verhindert der Erzähler das Treffen zwischen Michel
und seiner Mutter, weil er denkt, dass er die Erwartungen und Hoffnungen nicht
erfüllt und die Enttäuschung nicht noch verstärken möchte, indem er den Partner
real werden lässt? Oder schämt er sich wegen der Klassenzugehörigkeit, weil
Michel nicht seinem Stand entspricht? Darf Liebe durch so etwas in Frage
gestellt werden oder gar scheitern? Michels Erkrankung wird nicht namentlich
genannt, es gibt gewisse Hinweise, die auf AIDS hindeuten, auch die Sorge, sich
infiziert zu haben, treibt den Erzähler um. Durchaus ein Thema, was
insbesondere unter Homosexuellen präsent ist.
Rafael Chirbes greift auch auf bekannte Sujets zurück. Die
Großstadt, insbesondere Paris als Ziel der Träume, aufgeladen mit hohen
Erwartungen an das berufliche und private Glück. Die Gare d’Austerlitz als Ankunftspunkt
der Züge aus dem Süden Frankreichs, die erste Begegnung mit der Hauptstadt. Das
Wandern durch die Bars, die kurzen, flüchtigen Begegnungen dort ebenso wie die
Stammgäste, die sich allabendlich treffen. Auch das ist Chirbes‘ Roman und das
Pariser Leben, das gegenüber den Neuankömmlingen schonungslos sein kann und
seine Bewohner bisweilen hartherzig und grausam behandelt. In dieser Weise
zeichnet auch der Roman kein liebestrunkenes Bild in rosarot, sondern ein
buntes Kaleidoskop der menschlichen Emotionen.
Ein herzlicher Dank geht an den Verlag Kunst für das Rezensionsexemplar. Mehr Informationen zum Titel finden sich auf der Verlagsseite.
Ein herzlicher Dank geht an den Verlag Kunst für das Rezensionsexemplar. Mehr Informationen zum Titel finden sich auf der Verlagsseite.