Boy ist tot, ihr Sohn, für den sie so lange gekämpft haben.
Nachdem es mit der Schwangerschaft nicht geklappt hat, haben sie eine Adoption
gewagt. In einer Villa wird er groß, bekommt alles, was er sich wünscht, aber
er kommt nie wirklich in Deutschland an. Und dann ist er verschwunden – tot.
Für die Eltern bricht eine Welt zusammen, doch die Mutter kann die einfache
Erklärung Suizid nicht glauben. Sie begibt sich auf Spurensuche und lernt einen
ganz anderen Jungen kennen als den, den sie für ihren Sohn hielt.
Das Buch ist kein Krimi, auch wenn sie spannende Frage im
Raum steht, was vor dem Unglückstag passiert ist, wenn erst nach und nach das
andere Leben Boys offenbart wird. Es ist vor allen Dingen das Dokument einer
Frau, die große Schwierigkeiten hat, mit Gefühlen umzugehen, diese erst einmal
zuzulassen, Nähe zu leben und Vertrauen zu anderen Menschen zu haben – und das,
wo sie als Psychiaterin arbeitet. Interessant fand ich insbesondere die
Diskrepanz zwischen den geschilderten fehlenden Emotionen, sowohl gegenüber dem
Ehemann wie auch dem Kind, die Schwierigkeit eine klassisch-liebende Mutter zu
sein, die sich für alles interessiert, was im Leben des Kindes passiert, und
dann dem Schmerz, den sie empfindet, als Boy nicht mehr da ist. Auch die zweite
Frau, vermeintlich verantwortlich für den Tod, wird mit vielen schwierigen Emotionslagen
präsentiert, die ihr das Leben in Gemeinschaft und den Umgang mit anderen
Menschen schwermachen. Erst in der Ferne und Einsamkeit können sie das
zulassen, was sie in der Heimat nicht erleben konnten.
2013 wurde Wytske Versteeg in ihrer niederländischen Heimat
mit dem BNG Nieuwe Literatuurprijs für diesen Roman ausgezeichnet, eine Anerkennung
vielversprechender Jungautoren. Im Zuge der Frankfurter Buchmesse 2016, bei der
die Niederlande und Flandern Ehrengast sind, wurde auch dieser Roman in
Deutschland bekannt. Kein leichtes Werk, das einem bisweilen an die Substanz
geht, aber dadurch enorm ausdrucksstark.