Nach ihrem großen Erfolg mit dem autobiographischen Roman „Rien
ne s’oppose à la nuit“, der das Leben ihrer Mutter rekonstruiert, begibt sich
Delphine de Vigan auf Lesereise und absolviert zahlreiche Pressetermine. Nahezu
ausgelaugt von der öffentlichen Erwartung, der sie – schon als Kind auffällig
schüchtern und zurückhaltend – kaum gerecht werden kann, trifft sie zufällig
auf eine Frau, L., die sie fasziniert. Ihre Selbstsicherheit und Gelassenheit,
Freiheit von jeder Erwartung der Außenwelt. Sie freunden sich an und mehr und
mehr rückt L. in das Leben der Autorin. Diese versinkt derweil in einer
regelrechten Depression, das Leben geht weiter, aber ihre Arbeit nicht. Ihre
einzige Verbindung zu anderen Menschen wird L., ansonsten zieht sie sich mehr
und mehr zurück. Die Frauen kommen sich näher, diskutieren über Literatur und die
Aufgabe eines Autors. Ab und ab beschleicht die Erzählerin jedoch das Gefühl,
dass L. sie kopiere, ihr immer ähnlicher wird und geradezu ihr Leben, das sie
nicht mehr leben kann, übernimmt.
Wer die Bücher von Delphine de Vigan kennt, weiß, dass sie
einem unmittelbar packen und an den Roman fesseln kann. So ist es auch dieses
Mal, die hohen Erwartungen werden nicht enttäuscht. Doch es ist nicht nur der
Schreibstil, der überzeugen kann, sondern ihr Spiel mit dem Leser und das
Springen zwischen Wahrheit und Fiktion. Schon der Titel legt nahe, dass sie
sich wieder realer Erfahrungen bedient hat, um einen Roman zu schreiben – doch ist
dem wirklich so? Kann man der Autorin bzw. Erzählerin wirklich Glauben
schenken? Diese Unsicherheit fasziniert und lässt einem immer weiterlesen in
der Hoffnung, eine Antwort auf diese so relevante Frage zu finden, denn wie
soll man das Gelesene einordnen: Realität oder Konstruktion? Soll man Mitleid
mit der Autorin haben, die auf eine solch heimtückische Betrügerin reingefallen
ist oder soll man ihr applaudieren, weil sie geschickt mit dem Leser spielt?
Unabhängig von dieser die ganze Lektüre überlagernden Frage
bietet der Roman jedoch auch interessante Einsichten in das Innenleben eines
Autors, der seine Geschichten nicht aufs Papier respektive in den Computer
bringt: Die Zweifel, die immer mehr Raum einnehmen; die Gedanken, die manisch
und schließlich lähmend werden. Aber auch die Thematik zwischen öffentlichem
und privaten Bild – was sehen wir von einem Menschen und was davon ist nur
Fassade? Kann man immer schauspielern oder gar lernen, jemand zu sein, der man
gerne sein möchte? Da es sich um eine französische Autorin handelt, die noch
dazu in Paris lebt, fand ich die erste Begegnung zwischen Erzählerin und L.
besonders spannend, denn L. ist genau das, was man sich unter einer
erfolgreichen und attraktiven Französin vorstellt – und wird von ihresgleichen
bewundert und beneidet, wo man doch immer denkt, dass ihnen Selbstbewusstsein und
Attraktivität in die Wiege gelegt worden sei.
Ein durch und durch faszinierendes Buch, das zudem von
Dumont in eine wunderschöne Verpackung gehüllt wurde, in diesem Falle lohnt es
sich wirklich nicht zur elektronischen, sondern zur Hardcover Version zu
greifen.