Lila und Elena, beste Freundinnen seit Kindheitstagen in
einem weniger wohlsituierten Viertel Neapels. Die eine, Lila, Tochter eines
Schusters, ohne große Zukunft vor sich, obwohl sie offenkundig mit hoher
Intelligenz gesegnet ist und diese wohldosiert einzusetzen weiß. Die andere, genannt
Lenù, ebenfalls recht klug, aber sie muss hart pauken, um die entsprechenden
Schulleistungen zu erbringen. Für Lenù steht nach der kurzen obligatorischen Grundschule
der Weg zur höheren Bildung offen, immer wieder angestachelt durch Lila führt
dieser wider Erwarten in ungeahnte Höhen, bis hin zum Gymnasium, wo sie Latein und
Griechisch lernt. Für Lila bleibt alles beim Alten: das bekannte Viertel, die
Arbeit in der Schusterei, die bekannten Gesichter. Doch aus dem Mädchen wird
eine attraktive junge Frau, die schon bald sehr viel Aufmerksamkeit erregt und
zwischen alte Fehden gerät.
Wenn ein Roman mit einem solchen Marketingaufwand schon
lange vor der Veröffentlichung in aller Munde ist, stellt sich unweigerlich
Neugierde ein. Für mich hierbei besonders überraschend: dass Romane bejubelt
werden, ist keine Seltenheit, aber dass sich das literarische Feuilleton und die
eher massenorientierten Kanäle einig sind bzw. überhaupt über dasselbe Buch
sprechen, erstaunt da schon eher. Beim Lesen jedoch hat sich dieser scheinbare
Widerspruch schnell aufgelöst: ja, das Buch kann sowohl die einen wie auch die
anderen bedienen und wer sich gleichermaßen lesend bewegt, kann sich doppelt
freuen.
Band eins der Tetralogie erzählt die Kindheit und Jugend der
beiden Frauen. Nuanciert werden Parallelen und Diskrepanzen zwischen den beiden
Mädchen vorgestellt, immer wieder führt sie das unsichtbare Band jedoch wieder
zusammen. Ohne Frage ist die Erzählerin Lenù sympathisch und lädt schnell ein, sie
liebzugewinnen; faszinierender jedoch ist ihr Pendant, das in der Charakterzeichnung
vielschichtiger und undurchschaubarer ist. Es braucht keine großen Beschreibungen,
die Episoden ihres Lebens, das scheinbar widersprüchliche Handeln
charakterisieren diese junge Frau in ausreichendem Maße und lassen Raum für psychologische
Spekulationen – insbesondere darüber, was in den kommenden drei Bänden erzählt
werden wird. Auch wenn die Erzählerin zurückblickt, wählt sie doch in dieser
Passage den Blickwinkel des unwissenden Mädchens, was den Einblick in die
neapolitanische Gesellschaft der 50er Jahre insbesondere spannend gestaltet,
vieles bleibt vage und nicht begreifbar für die jungen Figuren – die Aussagen
lassen jedoch wenig Raum für Interpretation. Die Rolle der Familienclans und
mafiöse Strukturen werden mehr als deutlich kritisiert.
Blickt man weniger tief in den Roman, besticht die
Sprachgewaltigkeit der Autorin. Ein Plauderton, fast wie von einer Freundin,
der immer die richtige Note trifft, lässt den Text regelrecht dahingleiten, so
dass die gut 400 Seiten im Nu vorbeifliegen. Wunderschön leicht erzählt sie von
der Freundschaft und auch innigen Zuneigung zwei Mädchen – einem Thema, das
insbesondere Leserinnen leicht ansprechen dürfte.
Ja, es gibt literarisch anspruchsvollere Bücher, aber wenige
sind dabei so unterhaltsam und leicht. All dem Lob für Elena Ferrante – wer auch
immer sie sein mag – kann ich mich sehr leicht anschließen.