Sonntag, 25. September 2016

Philipp Winkler - Hool

Roman, Rezension, Shortlist, Deutscher Buchpreis 2016

Wenn das Leben wenig zu bieten hat und die eigene Familie sich in ihre Bestandteile aufgelöst hat, braucht man einen Ersatz. Heiko hat ihn gefunden: gemeinsam mit seinen Kumpels ist er nicht nur Fan von Hannover 96, sondern Hool. Wenn die Fußballer ihre Duelle auf dem Platz austragen, freuen sie sich schon auf die dritte Halbzeit, wenn die Anhänger der Teams auf der Straße aufeinander treffen und in heimlichen Fights nach ihrem Sieger suchen. Sein Onkel Axel, Inhaber eines Gym mit illegalen Nebengeschäften, hat ihn schon früh an die Hand genommen, als sein Vater in Depressionen versank nachdem die Mutter davongelaufen war. Genau wie Axel wird auch Heiko den Absprung nicht schaffen, obwohl sich nach und nach die Kumpels in ein bürgerliches Leben verabschieden. Welches Leben wartet auch schon auf ihn? Er hat doch nur die Fights.

Philipp Winklers Roman ist einer der sechs verbliebenen der Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2016. Thematisch sicher der ausgefallenste von den Nominierten, die ich gelesen habe. Heiko ist ein krasser Außenseiter, der am Rand der Gesellschaft lebt und dessen Dasein von einem ganz anderen Takt und anderen Werten bestimmt wird. Man teilt seine Einstellung über weite Strecken nicht und dennoch kann man nicht sagen, dass er einem gänzlich unsympathisch ist. Das, was er seinen Freunden an Zuneigung und Hilfe entgegenbringt, ist schon beachtenswert – allerdings sind diese auch seine Ersatzfamilie nachdem dir originäre sich aufgelöst hat. Eine völlig ausgereifte Figur mit vielen Facetten, kein unbedarfter Teenager mehr, aber auch noch nicht ganz im Leben angekommen. Nicht auf der Suche nach dem Sinn des Lebens, kein großer Zweifler, aber im eigenen Leben nicht zu Hause und das richtige ist nur manchmal verschwommen am Horizont erkennbar.

Worin liegt die Qualität des Romans, die die Nominierung rechtfertigt? Ein Einblick in das Leben eines Menschen am Rande der Gesellschaft, thematisch gewagt; mit Hooligans werden nicht viele Leser etwas anfangen können, es mag sogar eher verschrecken – insbesondere Titel und Cover sind hier sehr drastisch, was jedoch zum Buch passt. Die Konstruktion des Romans wird nicht gleich offensichtlich, es dauert ein wenig, bis man durchschaut, was Winkler sich da ausgedacht hat. Wir werden nicht chronologisch durch die Handlung geführt, sondern haben zwei Stränge: Heikos Leben im Jetzt, das zeitlich voranschreitet und Heikos Leben in der Familie, das rückwärts läuft und erst spät aufklärt, wie es zur Fragmentierung kam. Eine sehr gelungene Erzählweise, die sich kompliziert anhört, aber dennoch gut zu lesen ist. Der Ton ist glaubwürdig getroffen und passt zur Szene. Alles in allem, ein in sich völlig stimmiger und runder Roman, auf den es lohnt, sich einzulassen.

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