Schon im Januar 2015 wurde Paris mit den Anschlägen auf die
Redaktion von Charlie Hebdo und den Hyper Cacher schwer getroffen. Aber die
Attentate am 13. November gingen viel stärker noch in das Bewusstsein der
Franzosen ein, denn dieses Mal traf es die normale Bevölkerung, Menschen, die
sich am Freitagabend amüsieren wollten, die ein Konzert besuchten und in Bars
saßen, Menschen, die keine Schuld auf sich geladen und doch den Zorn von
Terroristen auf sich gezogen hatten. Die deutsche Autorin Gila Lustiger hat
diesen Abend und die folgenden Tage miterlebt und ihre Erschütterung in einem
Essay festgehalten. Dabei spielen auch die Jugendkrawalle aus dem Jahr 2005
eine wesentliche Rolle, waren diese doch Vorläufer dieser Attentate, ebenso wie
die zunehmende Anzahl an antisemitisch motivierten Einzeltaten.
Auf das Buch wurde ich durch eine Veranstaltung mit der Autorin
aufmerksam, in der sie zum einen auszugsweise vorlas, zum anderen aber auch
noch einmal spontan in Worte fasste, weshalb sie dieser Abend so sehr
persönlich getroffen hat. Gewalt und Bedrohung im Alltag sind ihr nicht fremd,
immerhin hat sie einige Zeit in Jerusalem gelebt und als Jüdin ist sie
insbesondere mit den Facetten sublimer und offener Feindseligkeit vertraut. Man
merkte ihr sowohl bei der Lesung wie auch im Buch an, dass die Tage im November
sie persönlich stark berührt haben. Dieser sehr persönliche Ton, wie auch die
offenen Beschreibungen ihrer Gefühle zwischen Verzweiflung, Unverständnis und Aktionswille,
machen ganz wesentlich den Essay aus. Der Versuch als Außenstehende die
französische Gesellschaft und die Problematik der Cités zu analysieren gelingt
ihr meines Erachtens ebenfalls sehr gut, unter anderem weil sie auch eigene
Erfahrungen mit der Frage von Assimilation und dem Recht der Bewahrung von
Herkunftssprache und -kultur gemacht hat.
Es ist nicht die große gesellschaftlich-politische Analyse,
die umfassend alle Frage beantwortet, sondern ein sehr persönlicher Bericht und
Blick auf die aktuelle Situation Frankreichs. Am Ende schafft sie auch einen
ganz wesentlichen Schritt: nicht mehr viel über die Täter reden, sondern auch
die Opfer in den Fokus rücken, diejenigen, die für die Fehler anderer bezahlen
mussten.