Sonntag, 30. November 2014

Eric Sanvoisin - Le Parloir

Yan, gerade erst 18 geworden, sitzt im Gefängnis. Die Anklage lautet auf Mord am Vater seiner Freundin Déborah. Yan schweigt, weder mit seinem Anwalt, jung und hochmotiviert, noch mit seiner Mutter oder seiner Schwester spricht er. Sein Leben wird bestimmt durch die Besucher, die auf ihn einreden, doch er weigert sich beharrlich, etwas zu dem Vorfall zu sagen. Auch nach Angriffen von Mithäftlingen schweigt er weiter. Laure kann nicht glauben, was man ihrem Bruder vorwirft – und am Ende kommt die furchtbare Wahrheit doch ans Licht.


Ein bedrückendes Jugendbuch der besonderen Art. Eine ungewöhnliche Umgebung, auch die Charaktere sind alles andere als gewöhnlich. Man leidet mit Yan, mit seiner Familie und wartet gespannt, ob irgendwann der Knoten platzt und der Junge erzählt, was sich wirklich zugetragen hat. Die Kargheit und Rohheit des Gefängnisses ist bedrückend und lässt den Leser lange nicht mehr los.

Bram Stoker - Das Haus des Richters [Hörspiel]

Malcolm Malcolmson will sich zum Lernen für sein Mathematikexamen zurückziehen. In einem kleinen Dorf findet er eine Unterkunft in einer Pension und schon bald entdeckt er ein leer stehendes Haus, das ihm der Makler sogar kostenlos überlässt. Die Pensionsbesitzerin ist erschüttert, dass der junge Mann in das Haus des Richters ziehen möchte – wie jeder weiß, spukt es dort. Doch Malcolm lässt sich nicht einschüchtern und beginnt mit den Umzugsvorbereitungen. Auch seine Haushaltshilfe warnt ihn und lehnt das Angebot, mit in das Haus einzuziehen, direkt ab. Die erste Nacht beginnt erst spät, denn die Ratten halten Malcolm wach, doch dann fällt er in einen tiefen Schlaf und erwacht erst wieder zur Mittagszeit. In der zweiten Nacht findet er gar keinen Schlaf, besonders eine große, dicke Ratte macht Eindruck auf ihn. Alle anderen Viecher scheinen auch Angst vor ihr zu haben. In der dritten Nacht schließlich kommt es zum Showdown und dem Gruselhaus.


Eine klassische Gruselgeschichte in alter Tradition. Das 19. Jahrhundert ist hier mit seinem Aberglaube, mystischen Auferstehungen und verwunschenen Umgebungen überall spürbar. Unschlagbare Unterhaltung.

Samstag, 29. November 2014

Thomas Sailer - Die Aktivistin

Die EU hat beschlossen das Bargeld im Euroraum abzuschaffen. Fortan gibt es nur noch die elektronische Währung. Die Bevölkerung scheint im Dämmerschlaf, doch in Johanna Perls Familie wird deutlich, dass man unmittelbar davon betroffen sein wird. Die Studentin fasst den Mut, sich gegen die große Reform und das Monstrum EU zu stellen und nicht klaglos alles über sich ergehen zu lassen. mit einem kleinen Blog und privaten Gedanken beginnt, was sich bald zu einer multinationalen Widerstandsbewegung auswächst. Immer mehr Befürworter stehen hinter der jungen Frau, doch auch in Brüssel ist man auf sie aufmerksam geworden und not amused. Gegen die Gallionsfigur muss etwas unternommen werden.

Thomas Sailer wagt ein Gedankenexperiment und arbeitet dieses an der Figur der Studentin Johanna ab. Inhaltlich finde ich den Roman mit seinem Ansatz hochinteressant – könnte ein einzelner stark genug sein, Massen zu mobilisieren und eine solche Entscheidung zu verhindern? Leider bleibt er mir dabei oft zu oberflächlich und reißt nur an, ich hätte mir ein tieferes Durchdrungen der Thematik auch fiktiv gewünscht, um die Gefahren einer solchen Idee deutlich zu machen. Auch bleibt mir Johanna zu diffus, oftmals scheint sie den Anschluss an die Entwicklung verpasst zu haben und wirkt geradezu dümmlich, immer wieder muss ihr jemand einfachste Dinge erklären. Eine Aktivistin hätte ich mir hier nicht nur ausnehmend hübsch, sondern auch mit etwas mehr Intelligenz gesegnet und forscher vorgestellt. Auch die anderen Figuren sind nur schablonenhaft gezeichnet ohne wirklich zum Leben erweckt zu werden. Das größte Manko ist für mich der Sprachstil. Der Text holpert vor sich hin, wirkt gestelzt, die Dialoge unglaubwürdig. Möglicherweise liegt das daran, dass der Autor Österreicher ist, aber mir wäre bislang nicht aufgefallen, dass man in unserem Nachbarland eine Gesprächskultur wie der deutschen Vorkriegszeit pflegen würde.


Das Fazit ist schwierig. Die Idee ist die Stärke des Buchs, mich hat interessiert, wie dieser Gedanke fortgeführt wird. Die Umsetzung ist insgesamt für mich jedoch eher mäßig und nur begrenzt überzeugend gelungen. 

Carin Bartosch Edström - Der Klang des Todes

Eine beschauliche Schäreninsel, auf der das klassische Quartett die Aufnahmen beenden möchte. Doch dann ist der Starviolinist Raoul Liebeskind tot und die vier Damen alle mehr als verdächtig. Helena, seine alte Geliebte; deren Halbschwester Caroline, die neueste Flamme des Geigers, die ihm sogar ein Kind schenken wollte; Louise, Besitzerin der Schäreninsel und noch Partnerin von Caroline; Anna, die ebenfalls mit Raoul die Liebe wiederentdeckte. Möglicherweise war es aber auch keine der Damen, denn in der Tatnacht befand sich neben den unverdächtigen Tontechnikern auch noch ein weiterer Mann auf der Insel, der durchaus Motive haben könnte.

Liebe und Tod sind in der Krimiwelt oft miteinander verbändelt, hier finden sie fast zu häufig zueinander. Ein komplexes Gebilde von Beziehungen, Enttäuschen, Hoffnungen und Erwartungen wird aufgebaut, dass letztlich alle Figuren enttäuscht und verärgert zurück lässt. Die Frauen alle mit ihren individuellen Zügen gezeichnet, verbunden durch Raoul und die Musik, bilden den Dreh- und Angelpunkt und lange Zeit herrscht beim Leser Verwirrung und Unklarheit, mit jedem neuen Verhör scheint man der Täterin ein Stück näher und zugleich ein Stück ferner zu sein.


Brigitte Aubert - Die vier Söhne des Doktor March

Jeanie wird trotz krimineller Vergangenheit bei Familie March angestellt. Beim Aufräumen stößt sie auf das Tagebuch eines der vier Söhne – dieser ist offenbar ein Mörder. Nur welcher ist der Übeltäter? Vierlinge, die sich ähnlich sehen, aber im Charakter verschieden sind. Aufgrund der Handschrift kann sie ihn nicht identifizieren, also beschließt sie, die Sache zu beobachten. Doch der Täter ist cleverer als sie glaubt und merkt schon bald, dass sie ihn beobachtet. Er nötigt sie, in seinem Tagebuch zu antworten und so treten beide in Konversation und einen Wettkampf. Kann Jeanie den nächsten Mord verhindern? Kann der Täter auch Jeanie zum Opfer machen?


Ein perfider Thriller, der das Opfer leiden und hoffen lässt und dem Leser auch nichts erspart. Eine interessante Lösung präsentiert Brigitte Aubert, die so nicht vorhersehbar war, aber keiner Plausibilität mangelt. 

Donnerstag, 27. November 2014

Torkil Damhaug - Feuermann

Im April 2003 erschüttert eine Reihe von Bränden Norwegen. Doch der „Feuermann“ ist nicht zu fassen. Den jungen Karsten belastet das wenig, er kämpft mit sich und seinen Mitschülern. Zaghaft schließt er erste Bande mit Jasmeen, wobei er unterschätzt, wie eine pakistanische Familie zu so einer Verbindung stehen wird. Auch macht er sich Sorge um seine kleine Schwester Synne. Schnell gerät Karsten in Gefahr und die Familie Jasmeens verfolgt ihn. Einzig der Referendar Adrian hält zu ihm und verspricht Hilfe. Doch dann verschwindet Karsten spurlos. Acht Jahre später macht sich seine Schwester auf, die Umstände von damals zu klären.


Die zwei Zeitebenen wären besser zu zwei Büchern geworden, zu unterschiedlich sind sie in der Gestaltung und im Fokus. Abgesehen davon fand ich die Figurenzeichnung und –entwicklung sehr gelungen. Auch die Spannung kam nicht zu kurz und mehr als einmal wurde man als Leser nicht nur in die Irre geführt, sondern auch die Nerven bis zum Zerreißen angespannt. Insgesamt überzeugende Unterhaltung.

Sonntag, 23. November 2014

Prosper Mérimée - Carmen

In Andalusien trifft der Erzähler auf einen Unbekannten, der sich als gesuchter Ganove herausstellt. Zwar kann er ihm noch zur Flucht verhelfen, doch einige Zeit später trifft er ihn in Haft wieder und erfährt dort von ihm seine Lebensgeschichte. Als aufstrebender Offizier trifft er auf die Romni Carmen, die ihn zugleich verzaubert und der er zur Flucht bei der Verhaftung verhilft. Von da an geht sein Leben stetig bergab. Jede Begegnung mit Carmen, der er restlos verfallen ist, führt ihn weiter ins Verderben. Erst verdingt er sich als Schmuggler, doch bald schon wird er morden – und Carmen wird ebenfalls mit dem Leben bezahlen.


Die Geschichte ist in Opernform weithin bekannt, eine klassisch tragische Liebesgeschichte. Interessant waren für mich vor allem Mérimées Überlegungen und Beobachtungen im letzten Kapitel zu den Roma bzw. führt alle zur damaligen Zeit gebräuchlichen Bezeichnungen für die Obergruppe der „Zigeuner“ auf. Aus heutiger Sicht mit gedrilltem politisch korrektem Sprech eher verwunderlich, aber in der Detailbeobachtung durchaus interessant, gerade der Vergleich zwischen Deutschland und Spanien. 

Joris-Karl Huysmans - Monsieur Bougran in Pension

M. Bougran ist ein vorbildlicher Beamter, vor kurzen erst wurde er ausgezeichnet. Doch er muss Platz machen für einen Günstling und so wird er kurzerhand in Pension geschickt. Alle beteuern ihm, wie toll es ist, jetzt so viel Zeit und Freiheit zu haben, doch schon nach wenigen Tagen im Park überfällt ihn eine unsägliche Langweile. Nach einem Besuch im Büro erfasst in Tatendrang und er richtet sich zu Hause ein Büro ein, wo er mit festen Arbeitszeiten selbst gestellte Aufgaben bewältigt. Doch der Austausch fehlt, also wird sein ehemaliger Laufbursche Huriot bei ihm privat eingestellt. Er kennt die Vorgaben genau und weiß, wie wichtig Sorgfalt ist – und so arbeitet er sich schließlich zu Tode.



Huysmans greift in seinem Text aus dem Jahre 1888 Kafka vor, denn seine Figur des M. Bougran ist gefangen im Bürokratenjargon und kann gar nicht anders, als bis an sein Ende der vorgegebenen Taktung folgen. Seine eigene Erschöpfung verarbeitet er hier in der Figur des Bougran. Interessant ist die Grundfrage des Textes auch heute noch: wie sehr definieren wir uns über unsere Arbeit und was bedeutet es, wenn wir dort keine Anerkennung mehr finden?

Massimo Carlotto - Die dunkle Unermesslichkeit des Todes

Silvio Contin muss den vermutlich schlimmsten Schicksalsschlag überhaupt hinnehmen: bei einem Überfall werden seine Frau und sein 8-jähriger Sohn ermordet. Doch nur einer der Verbrecher kommt hinter Gitter, der andere, der mutmaßliche Schütze bleibt in Freiheit und Raffaello Beggiato schützt seinen Komplizen, denn der hat das Geld. Nach fünfzehn Jahren Haft ist Beggiato jedoch am Ende, unheilbarer Krebs zeichnet seine letzten Tage. Durch Begnadigung könnte er freikommen, doch dafür braucht er Contins Unterschrift. Dieser will den Mord an seiner Familie rächen und sieht seine Chance auf Rache gekommen.


Ein typischer Carlotto, der in die Abgründe der menschlichen Seele steigt und Gefühle unermesslicher Intensität hervorholt. Sein Protagonist wandelt sich vom Opfer, dem man das Leben zerstört hat, zum Racheengel, der das vollendet, wozu die Polizei nicht imstande war. Kein Krimi, bei dem man den Täter sucht, denn die sind alle bekannt. Die Frage bleibt nur: wer ist am Ende härter und grausamer als die anderen. Und der Leser muss sich fragen, ob aus Opfern auch Täter werden und ob Täter nicht auch Opfer sein können.

Anne-Laure Bondoux - Le temps des miracles

Das Leben im Kaukasus der Nachsowjetzeit ist alles andere als einfach, das lernt auch der kleine Koumaïl schon früh. Mit seiner Adoptivmutter Gloria ist er auch der Flucht vor Krieg und Vertreibung in Richtung Frankreich, dem Land der Menschenrechte, wo Egalité, Fraternité und Liberté noch gelebt werden. In seinem grünen Atlas hat er sich das Land seiner Träume bereits angesehen. Aber es gibt noch einen Grund für dieses Ziel: er selbst ist Franzose und heißt eigentlich Blaise Fortune. Seine Mutter kam bei einem schweren Zugunglück ums Leben und Gloria hat sich seiner angenommen. Allabendlich erzählt sie ihm seine Lebensgeschichte und schenkt ihm Hoffnung, seine Mutter und sein Geburtsland eines Tages zu sehen. Die Reise ist gefährlich. Schlepper müssen bezahlt werden, das tägliche Überleben ist ein Kampf, mühsam verdienen sie sich das Essensgeld und der Krieg rückt stetig näher. Doch schließlich sitzen sie in einem Transporter, der sie das entscheidende Stück mitnehmen wird. Kurz hinter der deutsch-französischen Grenze jedoch wird Koumaïl von der Polizei aufgegriffen und Gloria ist verschwunden. Erst Jahre später wird er seine wahre Lebensgeschichte erfahren.


Ein Jugendbuch, das von einem ganz anderen Leben erzählt, als man es in Westeuropa kennt. Ohne wirklich Gräuel darzustellen ist der harte Kampf ums schiere Überleben jedoch präsent und kommt eindrücklich beim Leser an. Nichtsdestotrotz gibt die Figur der Gloria Hoffnung – immer wieder tröstet und ermutigt sie den Jungen, nach vorne zu blicken und auf die Zukunft zu schauen, die besser sein wird. Das Ende, das wie ein Schock auf ihn wirkt, geht auch am Leser nicht spurlos vorbei. Man kann sich die Not der Menschen vorstellen und auch wozu sie bereit sind, um den Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen.

Samstag, 22. November 2014

Chuck Palahniuk - Lullaby



Eine Reportage über den plötzlichen Kindstod – eine Erfahrung, die er als Vater selbst gemacht hat – führt Carl Streator auf eine gefährliche Spur: kann es wirklich ein afrikanisches Wiegenlied sein, dass zum unmittelbaren Tod führt? Der Reiz ist groß dies auszuprobieren und schnell sind etliche Opfer zu beklagen. Er will dieses Unheil aus der Welt schaffen und stößt dabei auf Helen Hoover Boyle, die ihrerseits ebenfalls von diesem Zauber weiß. Mit Helens Sekretärin Mona und deren Freund Oyster machen sie sich auf die Reise quer durchs Land, um alle Ausgaben der Kinderliedsammlungen von diesem bösen Lullaby zu befreien. Doch der Reiz der Macht über Leben und Tod ist groß und es dauert nicht lange, bis die kleine Zwangsfamilie sich entzweit.

Die Geschichte fängt sehr stark an, Carl Streator wirkt authentisch und mit ein wenig Phantasie kann man auch an ein mörderisches Wiegenlied glauben. leider lässt die Handlung ab dem Aufbruch der vier Figuren so furchtbar nach und driftet ins völlig Absurde, dass man nur noch den Kopf schütteln kann. Immer mehr versucht der Autor mythischen Unfug einzubauen und ist sich nicht zu schade, die banalsten und abgegriffensten Techniken aufzufahren. Das Buch hätte einfach viel früher enden sollen.

  

Irina Liebmann - Drei Schritte nach Russland

Irina Liebmann besucht ihre Heimat, die nie ihre Heimat war. Als Tochter einer Russin und eines Deutschen ist sie in der DDR aufgewachsen und ihr Geburtsland Sowjetunion gibt es schon längst nicht mehr. In drei reisen versucht sie, Russland und seine Einwohner zu fassen – über die sie nur hinter vorgehaltener Hand „von denen“ gesprochen hatte. Bei einer älteren Russin mietet sie sich ein, täglich telefoniert diese mit den Kindern in Deutschland – wo alles besser sein muss. Der Tag der Arbeit ist auch nicht mehr das, was er einmal war. Auch in der Provinz macht sie erstaunliche Erfahrungen und stellt fortan brav ihre kleinen Figuren auf, um den Heiligen gerecht zu werden.


Irina Liebmann beobachtet genau und beschreibt die nicht so schönen Seiten des zerfallenen Landes. Die heruntergekommenen Bauten, das harte Leben der alten, die nie einen Ruhestand erleben, weil sie es sich nicht leisten können. Auch die Geschichte um die Schutzheilige aus Kasan, die das Volk bewachsen soll, fand ich sehr interessant. Ein interessanter Blick auf Russland, der darauf verzichtet zu beschönigen und zu verteufeln, sondern einfach die Wahrnehmung wiedergibt.

Donnerstag, 20. November 2014

Martina Bick - Der Tote und das Mädchen

Marie Maas, Hamburger Kommissarin, ahnt schon, dass sie sofort wieder einen Toten serviert bekommt, wenn sie aus dem Urlaub zurückkehrt. Und so ist es auch. Der Geschäftsmann Reimann wurde in seinem Büro erschossen. Wie sich bald herausstellt, war er in Waffengeschäfte verwickelt und dabei sind wohl nicht alle Dinge legal zugegangen. Schnell wird ein Schuldiger festgenommen, doch Marie Maas zweifelt, dass dieser auch wirklich der Mörder war. Eine ganz andere Spur tritt plötzlich zutage.


Angekündigt als außergewöhnliche Kommissarin finde ich sie doch eher sehr durchschnittlich. Die nicht funktionierende Beziehung, die flapsige Art, Fälle werden letztlich dich im Alleingang gelöst mit der alle anderen übertrumpfenden Ermittlerin. Der fall selbst ist jedoch plausibel, legt gekonnt falsche Fährten und löst sich am Ende glaubwürdig auf. Ein ordentlicher Krimi, dem noch ein wenig mehr Spannung gut getan hätte, aber nicht Außergewöhnliches.

Dienstag, 18. November 2014

Olivier Adam - À l'ouest

Drei Personen, eine Familie. Antoine, fast 19, sucht die Liebe und findet doch nur Schläge. Camille, seine kleine Schwester, die ihn liebt und behüten möchte, würde am liebsten unsichtbar und drückt dies in einer schleichenden Anorexie aus. Marie, die Mutter, ist vom Leben ebenfalls enttäuscht und entschließt, sich einfach zu gehen. Alle drei sind allein, unglücklich und können sich nicht gegenseitig stützen.


Olivier Adam schreibt keine leichten Bücher. Seine Figuren sind immer schwer und schwer zu ertragen. Hier fand ich es besonders deprimierend so gar keinen Funken Hoffnung zu haben und die ganze Familie zugrunde gehen zu sehen. Kein Buch für zwischendurch, kein Buch für dunkle Novembertage. Und Adam kann das auch besser als hier.

Montag, 17. November 2014

Arnaldur Indrisadon - Tödliche Intrige

Die Ich-Erzählerin Sara in diesem cleveren Krimi kann nicht nachvollziehen, wie sie in die aktuelle Situation geraten ist. Sie lässt Revue passieren, was geschah. Wie sie Betty kennenlernte, die sie überreden sollte für ihren Mann, den schwerreichen Reeder Thomas Ottoson Zoega als Rechtsberaterin zu arbeiten. Wie sie langsam immer mehr Zuneigung zu Betty empfand und gleichzeitig deren Mann immer mehr hasste, weil er seine Frau prügelt. Nachdem der Reeder auch Sara vergewaltigt, möchte sie ihn anzeigen, doch Betty überredet sie, es nicht zu tun. Sie hat andere Pläne und Sara kann sich diesen schon längst nicht mehr entziehen.


Ein cleveres Spiel mit ihren Mitmenschen treibt die Femme Fatale und führt den Leser immer wieder zu neuen Wendungen und Blickwinkeln. Das langsam aufgebaute Vertrauen wird gnadenlos missbraucht und am Ende muss man sich fragen, ob man selbst nicht auch in eine solche Falle tappen und schwer für die Schuld eines anderen bezahlen könnte. Für mich nicht unbedingt der Psycho-Thriller, als der er beworben wird, aber ohne Frage psychologisch interessante gestaltet.

Sonntag, 16. November 2014

Anna Martens - Engelsschmerz

Jule ist verschwunden, da ist sich ihre Mutter sicher. Seit Wochen hat sie nichts von der Tochter gehört, und nun hat sie sich auf den Weg nach München zu ihr gemacht. Die Wohnung ist verweist – hier war schon lange keiner mehr. Auch bei ihrem Nebenjob hat man sie lange nicht gesehen. Ihr Nachbar, der scheue Martin, wundert sich ebenfalls, dass sie nicht da ist. Ist die Trennung vom Freund Tim der Grund, dass sie Abstand sucht? Aber warum meldet sie sich bei niemandem? Viele Freunde hatte sie nicht, aber so ganz ohne Lebenszeichen? Der Leser ist der Mutter voraus: Jule wird gefangen gehalten und misshandelt.


Ein klassischer Thriller, der auf zwei Erzählebenen funktioniert. Die Geschichte um die Mutter und sie zähe Suche und im Wechsel damit die Ereignisse um Jule einige Wochen zuvor. Langsam nähern sich die Erzählstränge an. Obwohl der Leser schon weiß, wo und warum sich Jule dort aufhält, bleibt die Spannung hoch, denn es ist nicht abzusehen, was mit ihr geschieht. Insgesamt eine glaubwürdig konstruierte Handlung, die langsam die Charaktere entwickelt und dennoch die für einen Thriller unerlässlichen Momente höchster Spannung und zugegebenermaßen kaum zu ertragender Widerwärtigkeit bietet. Keine unnötigen Schnörkel und überschaubares Personal lassen die Handlung zielgerichtet ihren Verlauf nehmen ohne sich mit Längen und Nebenkriegsschauplätzen aufzuhalten. Für mich eine runde, gelungene Sache. 

Jane Austen - Sense and Sensibility

Als Mr Dashwood stirbt, geht der Familiensitz an den einzigen Sohn des Hauses, John. Die zweite Ehefrau muss mit den Töchtern das vertraute Heim verlassen und mit einem bescheidenen Einkommen auskommen. Die kleine Familie zieht nach Devonshire, wo sie unter dem Schutz des Cousins Middleton ein deutlich bescheideneres Leben führen müssen. Eine günstige Hochzeit für Elinor oder Marianne wäre jetzt sehr wünschenswert, doch beide Töchter scheinen sich den falschen Mann ausgeguckt zu haben und schon bald sind sie verlassen und am Boden zerstört.


Ein klassischer Plot des 18. Jahrhunderts in der besseren Gesellschaft. Soziale Missstände und dergleichen sind ausgeblendet, einzig das Verheiraten der Töchter mit wohlsituierten Herren füllt den Tag der Damen. Das Hin und Her hat durchaus unterhaltsame Momente, dass es am Ende gut ausgeht, ist ebenfalls zu erwarten und ernsthafte Tiefe kann bei diesem Personal nun auch nicht erhoffen. Als nettes Schmankerl mal zwischendurch aber immer wieder unterhaltsam. 

Frank Goosen - Echtes Leder

Frank Goosen berichtet von seinem Dasein als Fußball-Fan. Fan des Vfl Bochum, was die Sache nicht leichter macht - aber immerhin bereitet das auf das Leben vor, denn Leid zu ertragen hat der Vfl Fan gelernt. In gewohnt humoristisch und selbst-ironsicher Weise berichtet er von seinen Erlebnissen rund um "die schönste Nebensache der Welt". Sei es der Besuch von "Herren" (der Männertoilette im Stadion) oder der Rückblick auf fast große Momente der Vereinsgeschichte, jeder Aspekt kann dazu herhalten, ihn zu thematisieren und ihm die erforderliche Bedeutung zuzuschreiben - die natürlich (insbesondere von Nicht-Fußballfans) völlig verkannt wird. Auch kleine Seitenhiebe auf die anderen, völlig unbedeutenden Vereine im Revier dürfen hier nicht fehlen. Goosen ist sich der Bedeutung seines Vfl voll und ganz bewusst.

Besonderes Schmankerl beim Hören ist hierbei der typische Einschlag des Ruhrgebiets, immer dann, wenn es in die Niederungen des Niveaus geht. Auch wenn man nur begrenzt Fußball-affin ist, kann man hier köstlich unterhalten werden.

Samstag, 15. November 2014

Georges Simenon - La boule noire

Walter Higgins, Leiter des örtlichen Supermarkts, will nichts mehr als endlich Mitglied im legendären Country Club werden. Die Voraussetzungen erfüllt er doch alle. Doch der Eintritt birgt eine Hürde: es müssen in geheimer Abstimmung alle Mitglieder seiner Aufnahme Zustimmen. Dies geschieht mit Kugeln, weiße stehen für Ja und nur eine einzige schwarze verhindert den Eintritt. Doch auch dieses Mal befindet sich eine schwarze Kugel unter lauter weißen und wieder wird Walter abgelehnt. Das lässt er nicht auf sich sitzen.


Ein kurzer Simenon, der zur Abwechslung in Amerika angesiedelt ist und dort das Kleinstadtleben mit all ihren Hinterhältigkeit einfängt. Der Wunsch dazuzugehören, die heimtückische Ablehnung und die Rache des Verschmähten mit seinen Mitteln.  Nicht Simenons überzeugendstes Werk, dennoch nicht ohne Unterhaltungswert.

Francis Durbridge - Paul Temple und der Fall Gilbert

Eigentlich ist Paul Temple schon auf dem Weg in den Urlaub, als er Besuch von Wilfried Sterling erhält. Dessen Tochter Brenda wurde ermordet und der vermeintlich Schuldige zum Tode verurteilt. Der Vater hat jedoch Zweifel und bittet Temple um Hilfe. In Brendas Tagebuch gab es einen Eintrag, ein Treffen mit L. Fairfax, den jedoch niemand zu kennen scheint. Temples Interesse ist geweckt und als kurze Zeit später eine von Brendas Freundinnen ermordet aufgefunden wird, ist er sicher, dass der junge Gilbert nicht der Mörder sein kann. Doch egal wo er auch Nachforschungen anstellt, der Fall wird immer komplexer und immer mehr Verdächtige erscheinen auf der Bildfläche. Bald schon geraten Temple und seine Frau Steve selbst ins Visier des Mörders.


Man kann diese Klassiker der Krimigeschichte nur lieben. Natürlich sind die Figuren überzeichnet und Kommissar Zufall spielt auch mit, aber aus heutiger Sicht erscheinen sie alle sehr liebenswert und herzlich. Was mich insbesondere an dem Paul Temple Fällen immer wieder überzeugt: eine in sich stringente und logische Handlung, die nicht durch technischen Schnickschnack, sondern durch die Cleverness des Ermittlers gelöst wird, der die Menschen geschickt führt und überführt. 

Edward St Aubyn - Lost for Words

Der „Elysian Prize for Literature“ soll vergeben werden. Das Komitee wird offenbar recht willkürlich nach Standesdünkel und zweifelhaften Kriterien ausgewählt und es ist klar, dass hier eine Einigung nicht einfach wird. Aber auch die Schriftsteller warten auf die Veröffentlichung der Long- und Später Short-List und bereiten sich schon auf ihre Siegesreden vor. Katherine Burns, brillante Schreiberin mit Herz für allerlei Männer, ist sich fast sicher, dass man an ihr nicht vorbeikommt – doch ihr Verleger vermasselt die Teilnahme und schickt das falsche Manuskript. Dies wiederum gehört einer Inderin, die lediglich ein Kochbuch schreiben wollte. Deren Neffe hofft seinerseits auf den Sieg und schmiedet Mordpläne, als er in der Short-List nicht berücksichtigt wird.


Ein satirischer Blick auf die Vergabe von Literaturpreisen. Die Hybris der Autorenschaft, die sich weder um Publikum schert noch einen Bezug zur Realität hat, die Juroren, deren Kriterien nicht nur absurde Züge tragen, sondern die sogar glaubwürdig nach diesen Handeln und den Leser sich fragen lassen, ob da nicht doch ein Funken Wahrheit dran sein könnte. Viel Komik, herrlich absurd und das Ende kommt, wie es einfach kommen muss.

Harold Pinter - The Hothouse

Weihnachtsabend, ein Heim. Ob Psychiatrie oder etwas anderes bleibt unbestimmt. Roote, Leiter dieser ominösen Anstalt, erkundigt sich nach seinen Patienten, die alle statt mit ihren Namen mit Nummern charakterisiert werden. Doch die normalerweise streng bewahrte Ordnung gerät an diesem Abend durcheinander: Patient 6457 ist einfach gestorben und Patientin 6459 hat ein Kind bekommen – offenbar von einem Angestellten. Diese völlig unakzeptablen Umstände gilt es aufzuklären.


Ein frühes Bühnenstück von Pinter, das er erst viele Jahre später veröffentlichte. Es besticht – neben dem kuriosen Personal und dem bemerkenswerten Setting – in typisch Pinter’scher Weise durch eine Sprachgewalt und einen Wortwitz, der kaum übertroffen werden kann. Gestochene, auf den Punkt treffsichere Formulierungen belegen einmal mehr, dass er völlig zu Recht den Nobelpreis für Literatur erhalten hat. Inhaltlich wird einmal mehr die Absurdität psychiatrischer Anstalten, wie sie sich auch Mitte des 20. Jahrhunderts noch zeigte deutlich: zweifelhafte Methoden, neurotische Direktoren und sich andienende Emporkömmlinge. Jede Zeile ein Genuss.

Sonntag, 9. November 2014

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Delphine de Vigan - Jours sans faim

Kälte, Leere und Einsamkeit – das ist das einzige, das die junge Laure noch spürt als man sie völlig abgemagert ins Krankenhaus einweist. Sie kann gar nicht erkennen, wir kritisch ihr Zustand ist. Mit jedem Gramm Gewichtszunahme kehren mehr Empfindungen zurück und es entsteht wieder Leben in ihr. Normale Lebensmittel sind ein Kampf, ihr Körper ist es gar nicht mehr gewohnt, sie zu verarbeiten. Nach und nach kann sie auch andere Menschen wieder wahrnehmen und lernt, wie ihre Umwelt sie gesehen hat. Die Freundinnen, die ihren Anblick kaum mehr ertragen konnten, weil sie den Tod vor sich sahen. Die fremden auf der Straße, die sich an Konzentrationslager erinnert fühlten. Doch ihr Gegner – den sie fast liebevoll Lorex nennt – wohnt gnadenlos weiter in ihr und je näher der Tag der Entlassung zurück in die Welt außerhalb des Krankenhauses rückt, desto stärker wird Lorex auch wieder.

Ein eindrucksvoller Einblick in diese Welt einer Anorexie-kranken jungen Frau. Laures Innenleben wird von Delphine de Vigan greifbar und spürbar geschildert. Das schrittweise Zurückkehren ins Leben, die Wahrnehmung des eigenen Körpers, Momente der Schwäche, der nicht enden wollende Kampf mit der Krankheit – all dies fasst sie in Worte, die den Leser immer wieder innehalten lassen. Auch die Schilderung der Familiensituation, die nicht unwesentlich für Laures Schicksal verantwortlich ist, wird aus Sicht des Mädchens mit all dem Schrecken geschildert, wie Kinder sie vermutlich erleben.


Fazit: eine eindrückliche Schilderung, die einem bewegt zurücklässt.

Samstag, 8. November 2014

Sofi Oksanen - Als die Tauben verschwanden

Estland, Zeit des zweiten Weltkrieges. Gefangen zwischen zwei Großmächten versucht sich die Bevölkerung ein Stückchen Normalität zu bewahren. Juudit und ihr Mann Edgar, dessen Cousin Roland und seine Frau Rosalie stehen im Zentrum der Erzählung. Nach dem Tod Rosalies, dessen Umstände rätselhaft bleiben, entfernen sich die drei zunehmend voneinander. Edgar merkt schnell, wie er sein Fähnchen nach dem Wind hängen kann und dient sich dem deutschen Besatzer an. Seine Frau Juudit verliebt sich derweil ungeplant in einen deutschen Offizier, was sie jedoch nicht davon abhält, Roland in seinem Untergrundkampf für ein befreites Estland zu unterstützen. Nach der Machtübernahme durch die Russen, muss Edgar sich taktisch neu ausrichten und wird nun zum eisernen Kommunisten, der dem KGB wichtige Informationen beschafft. Mehr und mehr nähert er sich auch dem, was seine Frau und sein ehemals bester Freund in dieser Zeit tun.

Der Zweite Weltkrieg wird hier aus einer für mich neuen Perspektive, der des besetzten Baltikums, geschildert. Gefangen zwischen zwei Großmächten, die beide eine Unabhängigkeit Estlands ablehnen und nur Profit aus dem Land ziehen wollen, muss die Gesellschaft sich mit den Gegebenheiten arrangieren. In welcher Weise dies geschehen kann, hat Sofi Oksanen überzeugend eingefangen. Auch wenn die Zeit- und Ortssprünge im Hörbuch nicht ganz einfach sind - hinzu kommen die Perspektivenwechsel jeweils hin zu den drei Protagonisten, auch wenn diese durch unterschiedliche Sprecher unterstützt werden – so entsteht doch ein interessantes Bild der damaligen Zeit. Die Figuren sind mit Brüchen komplex gezeichnet, werden vor schwierige Entscheidungen gestellt, für die es keine einfachen Lösungen gibt. Auch die Entwicklungen, die sie durchmachen, sind glaubwürdig und nachvollziehbar. Bisweilen spannend, manchmal auch mit einem Quäntchen Humor, wird hier eine facettenreiche, interessante Geschichte erzählt. Einziger Wermutstropfen: für mich ist die Episode am Ende über die nächste Generation zu viel. Zwar werden hierdurch auch Edgars und Rolands weiterer Lebensweg dargestellt, doch eigentlich war für mich ihre Geschichte mit dem Ende des Krieges erzählt.


Fazit: Sofi Oksanen konnte mich als unglaubliche Erzählerin aus fremder Perspektive vollends überzeugen.

Mittwoch, 5. November 2014

Miina Supinen - Drei ist keiner zu viel

Eine finnisch-griechische Mythologin und vermeintliche Satanistin. Ein sexbesessener britischer Archäologe auf Jobsuche. Eine chaotische finnische Atheistin, die mit einem autistischen Computerspielprogrammierer zusammenwohnt. Wobei, der Engländer ist eigentlich tot. Das sind die kuriosen Zutaten für Miina Supinens Roman. Gemeinsamer Dreh- und Angelpunkt ist eine Akademie in den finnischen Wäldern, in denen urzeitliche Grabungen unternommen und alte Kulte gepflegt werden sollen. Das Setting ist ebenso kurios wie die Figuren, dennoch entsteht eine nur allzu menschliche Dreiecksgeschichte, die sich um die essentiellen Fragen des Lebens dreht: wer liebt wen und wie viel? Wie wird das gezeigt? Was passiert nach dem Tod? Was ist dran an den alten Sagen?

So schwer der Inhalt zu fassen ist – ein kurzer Ausschnitt aus dem Leben der Figuren, nur wenige Wochen sowie zahlreiche episodenhafter Rückblicke – so schwer ist es da Buch insgesamt zu fassen. Besonders gelungen ist es, dem Leser kurze Einblicke in die finnischen Mythen und Sagenwelt zu geben. Das Kalevala, das finnische Nationalepos, dürfte gerade im deutschen Sprachraum weitgehend unbekannt sein und je mehr sich die Protagonistin Stella dieser naturverbundenen, mit zahlreichen Geistern gesegneten Welt annähert, desto mehr erfährt auch der Leser über diesen alten Blick auf unsere Welt. Hierzu passt, dass ein Teil des Romans von einem Verstorbenen erzählt wird – der gar nicht an Reinkarnation oder Geisterwesen glaubt. Auch wird der Wald als Schauplatz sehr anschaulich und intensiv beschrieben, so dass man gerne an diese Welt zwischen der unseren und dem Jenseits glauben mag.

Sehr dicht, in verspielter Weise, stellt die Autorin ihre Figuren vor grundlegende menschliche Bedürfnisse und Fragen. Sie liefert uns keine Antworten, aber die Herangehensweise, gespiegelt in diesen außergewöhnlichen und höchst individuellen Charakteren, erlaubt einen ungewöhnlichen Blick auf sie. Die wechselnden Perspektiven, Einschübe von Dritten und aufeinanderprallenden Ansichten mit humoristischen Einlagen und gelungenen Formulierungen lockern die Erzählweise auf, so dass die Geschichte trotz der Tiefe und Schwere leicht bleibt. Das Cover, welches surrealistisch anmutet, passt auch zu dem surrealistischen Inhalt: ein Zusammentreffen kuriosester Elemente, die ein neues Ganzes ergeben, das unerwartet und dennoch schön ist. 

Sonntag, 2. November 2014

Stefan B. Meyer - Desperados im Land des Lächelns

Wendezeit in Dresden. Alte Eliten werden abgelöst durch Westler, jeder rettet, was er noch retten kann und sorgt vor für das Leben im neuen Staat. Staatsanwalt Mars aus Süddeutschland sieht den Neubeginn im fernen Osten als Karrierechance, nicht ahnend, dass ihn dort gleich Mordfälle erwarten, die die höchsten politischen Ämter in Aufruhr versetzen. Er braucht Unterstützung, der im Vorruhestand befindliche Ermittler Wallner ist genau der richtige. Mit Spürsinn, dem richtigen Riecher und dem passenden Maß an Abgebrühtheit, suchen sie die Mörder von Herrn und Frau Paulus sowie einem desertierten Soldaten der Sowjetarmee.

Der Krimi als solches präsentiert einen politisch heiklen und authentisch wirkenden Fall. Die chaotische Übergangszeit nutzen sicherlich viele, um alte Akten verschwinden zu lassen, Leichen im Keller zu beseitigen und sich in eine günstige Position für den Neuanfang zu bringen. Daneben besticht der Roman jedoch durch eine glaubwürdige Darstellung der Zeit, die scharfsinnig mit auf den Punkt treffenden Formulierungen untermauert wird. Es macht enormen Spaß, die kleinen Seitenhiebe, mal ironisch, mal sarkastisch, aber immer treffsicher im Text zu finden und es fällt leicht, sich in die Zeit und die Situation der Ermittler zu begeben. Die Figuren haben alle ihre Ecken und Kanten, keiner ist durch und durch sympathisch und von Beginn an der „Held“. Doch ihre kleinen Makel – seien es  Staatsanwalt Mars‘ typische Vorbehalte gegenüber dem Osten oder Wallners Auffassung von Obrigkeitstreue und Rechtssinn – machen sie nicht nur liebenswert, sondern vor allem menschlich. Sie agieren nach bestem Wissen und Gewissen im Dienste der Gerechtigkeit und nichts anderes kann man sich wünschen.


Fazit: ein durch und durch gelungener Krimi vor einer interessanten Kulisse. 
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