Der Traum vom Leben in Luxus wird für Rose Baker zum
Alptraum. Als Waisenkind geboren und bei Nonnen aufgewachsen, lernt sie früh
einen bescheidenen Lebensstil, der durch ihr unscheinbares Äußeres komplettiert
wird. Als Sekretärin auf einem Polizeirevier – in den 1920er Jahren durchaus
ungewöhnlich für eine Frau – kommt sie mit den Abgründen der Menschheit in
Kontakt und kann diesen doch teilnahmslos distanziert gegenüber stehen. Als
Odalie Lazare die Bühne des Reviers betritt, soll sich ihr Leben nachhaltig
verändern. Die bezaubernde Frau, die mit ihrem Charme jeden sogleich einfängt,
kann auch das Vertrauen des jungen Mädchens gewinnen und Rose in ihren Bann
ziehen. Sie führt sie ein in die Welt der Flüsterkneipen und den Untergrund und
bringt die rechtschaffene Stenotypistin schon bald dazu, ihre eisernen Vorsätze
und die pflichtgetreue, integere Haltung aufzugeben. Tiefer und tiefer zieht
Odalie Rose in den Abgrund, bis der endgültige Absturz unabwendbar wird.
Der Kampf zweier ungleicher Frauen, bei dem die Sympathien
eindeutig verteilt werden. Das bedauernswerte Mädchen und die Femme Fatale, der
sie wie ein liebestreuer Anbeter erliegt. Die Faszination einer weltgewandten
Frau, die sich in allen Gesellschaften leichtfüßig bewegt, ist leicht
nachvollziehbar und so ist auch die Entwicklung der gewissenhaften Rose hin zur
unredlichen Gehilfin glaubwürdig geschildert. Langsam entfaltet sich diese vor
dem Auge des Lesers, früh schon weiß man, dass es schlimm enden wird, und
dennoch verliert die Handlung hierdurch keineswegs an Spannung, ganz im Gegenteil,
hier macht der Weg den Reiz aus, nicht das Ziel. Besonders gelungen ist meines Erachtens
das Setting, die 1920er Jahre erwachen im Roman zum Leben und werden weder
überstrapaziert noch zu klischeehaft dargestellt.
Fazit: eine interessante Charakterstudie, die heute genauso ablaufen
könnte, wie fiktiv vor fast 100 Jahren.