Die grande dame der Gesellschaft tritt ab, Millvina Van
Runkle liegt im Sterben, doch auch dies will inszeniert sein. Und sie geht
nicht ohne ihren Lieben noch ein paar Geheimnisse anzuvertrauen: ihre Tochter
Mildred ist adoptiert, das soll diese aber nicht erfahren. Mildred hat ohnehin
andere Sorgen. Der Tod ihrer Mutter lässt sie relativ kalt, herzlich war das
Verhältnis nicht gerade – aber das ist es in der Züricher Welt der Schönen und Reichen
eh nie, Hauptsache der Schein ist gewahrt und die Anzeige auf der Waage stimmt.
Mehr belastet sie ihre Ehe und nun drängt sie ihren Mann Viktor endlich zu
einer Therapie, worauf dieser so gar keine Lust hat. So vereinbar er mit seinem
Freund Oskar, dass dieser für ihn die Therapie macht und ihm berichtet. Doch
bald schon verfängt sich Oskar zwischen seinem eigenen und Viktors Leben und
setzt so gleich beide Ehen aufs Spiel.
Ein kurioser Roman. Die ersten beiden Kapitel sind geprägt
von Millvinas Ableben und der Beerdigung und zeichnen ein bissig-ironisches
Bild der besseren Gesellschaft, die gerne betrogen werden möchte und bei der
hinter der geschönten Fassade wenig bleibt. Oskars Therapie bildet das
Herzstück des Romans und sprüht nur so vor herrlichen Dialogen zwischen
Therapeut und Klient, der gar nicht therapiert werden möchte und doch durch all
seine Ablenkungsmanöver immer tiefer in die eigene Seele blickt. Die Therapie,
die in diesen Kreisen ebenso Accessoire ist wie die Frisur oder die
aufgehübschten Augenlider, erhält plötzlich doch wieder eine Funktion.
Die Figuren sind selbstverständlich überzeichnet, gewinnen
aber dadurch ihren Charme; die Gefahr einer Identifizierung mit ihnen besteht nicht,
die notwendige Distanz, um diese Gesellschaftsschicht mit gebührendem Abstand
zu belächeln, bleibt gewahrt. Interessant wird Tinglers Roman durch seine
sprachliche Gestaltung. Er findet die passenden Formulierungen, die einem immer
wieder schmunzeln lassen, da sie treffsicher auf den Punkt bringen, wie absurd
sich die Figuren verhalten und wie verschoben ihr Weltbild ist. Keinesfalls
bleibt der Roman aber an der Oberfläche, die Therapiesitzungen sind durchaus
von einer gewissen psychologischen Tiefe geprägt, die Oskar aber an seine
Grenzen bringen, denn Tiefgang gehört eigentlich nicht zu seiner Welt.
Fazit: humorvoll-ironischer Blick in die Welt der Schönen
und Reichen.